Liebe Kolleginnen und Kollegen,
….. es fällt schwer, angesichts des Geschehens in der Ukraine an dieser Stelle andere Themen zu besprechen. Wir sehen einen Krieg, den Russland gegen einen einst als Brudervolk bezeichnete Menschen führt. Wir sehen einen Krieg zweier Staaten, deren Völker deutsche Soldaten im zweiten Weltkrieg unermessliches Leid zugefügt haben. Wir sehen einen von Putin ausgelösten Krieg, der keine zweitausend Kilometer von uns entfernt, Menschen dazu zwingt aufeinander zu schießen und sich gegenseitig zu töten. Und wir können nicht mehr tun, als unseren Zorn öffentlich zu machen und uns für die vor der Brutalität des Krieges flüchtenden Menschen einzusetzen.
Man kann einen Krieg ebenso wenig gewinnen,
wie ein Erdbeben.
(Jeannette Pickering Rankin, 1880 – 1973, Frauenrechtlerin, Friedensaktivistin, erste Frau im US-Kongress)
Das ungeliebte Virus gerät durch die aktuellen Geschehnisse etwas aus den Schlagzeilen. Und das, obwohl immer noch täglich viele Menschen im Zusammenhang mit einer Covid-19-Infektion sterben. Der „freedom day“, den viele jetzt gern ausrufen möchten, könnte sich angesichts bereits bekannter, neuer Virusmutationen früher oder später als „error day“ entpuppen. Als sehr merkwürdig empfinde ich jetzt Kommentare, die künftig den Menschen die Freiheit zugestehen wollen, weiterhin in öffentlichen Verkehrsmitteln oder beim Einkaufen eine Maske tragen zu dürfen. Verrückte Welt!
Für Kurzentschlossene gibt es noch einige Plätze auf der 11. Fachtagung SBV vom 15.03. bis 17.03.2022 in Berlin. Die Hygieneregelungen inklusive der 2G-Plus-Regelung erlauben eine geordnete Durchführung. Eine traurige Nachricht ist mit dieser Information verbunden. Rainer Lüthje, den viele u.a. als den moderierenden Ruhepol der SBV-Tagungen kennen, ist nicht mehr unter uns. Er ist sehr plötzlich am Ende des vergangenen Jahres verstorben. Wir werden uns an Dich erinnern, Rainer.
Von Bayern lernen ist möglich! Das beweist der Umstand, dass im südlichsten Bundesland die Schwerbehindertenvertretung dem Arbeitsschutzausschuss (ASA) als Mitglied angehört! Anderen Bundesländern zur Lektüre und Anpassung empfohlen!
Auch an dem SBV InfoBrief, geht die Gender-Frage nicht vorbei. Dass diskriminierungsfreie Sprache mittlerweile zum Alltag gehört, ist z.B. erfreulicherweise beim Gender-Gap, der Sprachpause der Nachrichtensprecherinnen und -sprecher zu beobachten.
Mittlerweile ist aber in Publikationen alles Mögliche zu sehen: Die einen benutzen den Unterstrich, die anderen den Doppelpunkt, weitere das Sternchen und natürlich verweigern sich auch immer noch welche dem Gendern grundsätzlich, als ob es gleichsam körperliche Schmerzen verursache.
Alles ist möglich und Publikationen sind frei, glücklicherweise gibt es die Pressefreiheit. Hier, im SBV InfoBrief wurde schon (nicht durchgängig) und wird allerdings künftig das Sternchen benutzt, sofern es nicht andere Schreibweisen gibt, das Gemeinte lesbar zu gestalten. Maßgeblich ist u.a. die Auffassung des DBSV, der ausführt, dass Doppelpunkt und Unterstrich für sehbehinderte Menschen schlechter erkennbar sind als das Sternchen.
Das Gendern ist, Menschen die das nicht mögen, müssen es nicht tun, aber aushalten. Auch das ist Demokratie. Übernommene Texte werde ich entsprechend umformulieren, wenn es nicht sinnentstellend ist. Und wenn mir doch mal was durchrutschen sollte: Bitte cool bleiben!
Verbieten verboten -
Über die Lust dem Gendern ein Ende zu setzen
(aus dem Buch Gender-leicht, Christine Olderdissen, 2021)
Demokratie braucht Inklusion! Nicht den Mut verlieren, angesichts der ukrainischen Tragödie und trotzdem weiter für Inklusion werben. Das wünscht Allen
Jürgen Bauch
Tipp
Am 28.09.2021 startete die Notruf-App nora bundesweit außer in Berlin. Nora ist die einzige behördliche Notruf-App. Sie wurde durch das Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen (IM NRW) in einem Vergabeverfahren beschafft.
Am 20.10.2021 führte Berlin als letztes Bundesland die Notruf-App nora ebenfalls ein, sodass sie nun von allen 16 Bundesländern unterstützt wird. Nora ist die offizielle Notruf-App der Bundesländer, die diese beauftragt und finanziert haben.
Nach einer kurzen Unterbrechung, während derer ein Download der Notruf-App nora nicht möglich war, steht diese seit dem 16.11.2021 im Apple App Store für iOS und im Google Play Store für Android wieder zur Verfügung.
Mit der App erreichen Sie Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst im Notfall schnell und einfach. Überall in Deutschland.
nora nutzt die Standort-Funktion Ihres Mobil-Geräts, um Ihren genauen Standort an die zuständige Einsatzleitstelle zu übermitteln. So können Einsatzkräfte Sie besser finden, auch wenn Sie selber nicht genau wissen, wo Sie sind.
Über die App können Sie außerdem Notrufe absetzen, ohne sprechen zu müssen. Das ermöglicht Menschen mit eingeschränkten Sprach- und Hörfähigkeiten den direkten Kontakt zu den Leitstellen von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst.
Link: www.nora-notruf.de
www.netz-barrierefrei.de
Domingos de Oliveira (www.netz-barrierefrei.de) schildert in seinem Beitrag zeigen, auf welche Schwierigkeiten sehbehinderte Menschen am Arbeitsplatz stoßen können.
Einleitend gibt es Erläuterungen, was Sehbehinderung eigentlich ist und welche tatsächlichen Folgen sie haben kann. Im Anschluss werden rechtliche Anforderungen thematisiert, bevor dann gezeigt werden soll, welche unterschiedlichen Hilfsmittel Sehbehinderte nutzen können. Am Ende wird aufgezeigt, welche allgemeinen Vorkehrungen Arbeitgeber treffen können.
Link zum PDF-Dokument: www.reha-recht.de
www.netz-barrierefrei.de
Dieser Leitfaden soll Interessierte in das Verfassen sinnvoller Alternativtexte einführen. Er geht schrittweise vor. Anlass für diesen Leitfaden ist, dass sich professionelle, wie ehrenamtliche Gestalterinnen und Gestalter immer wieder vor diese Frage gestellt sehen.
Link: www.netz-barrierefrei.de
Recht
Das Verwaltungsgericht Mainz hat entschieden (4 K 1036/20.MZ): Einer schwerbehinderten Bewerberin, der die fachliche Eignung für eine von einem öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber ausgeschriebene Stelle nicht evident fehlt, ist in der Regel eine Entschädigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz zu zahlen, wenn sie nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden ist.
Link zum Urteil: www.vgmz.justiz.rlp.de
Rekordzahlen bei der BGW
Die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) ist durch die Coronapandemie besonders gefordert: Gut 132.000 meldepflichtige Verdachtsmeldungen auf eine beruflich bedingte COVID-19-Erkrankung wurden ihr bis einschließlich 31.12.2021 gemeldet. Knapp 87.000 Fälle davon hat die BGW bisher als Berufskrankheit (BK) anerkannt. Noch sind nicht alle Fälle abgeschlossen, denn aufgrund der extrem hohen Fallzahl verzögert sich die Bearbeitung. Betroffene, bei denen Symptome über einen längeren Zeitraum anhalten, erhalten besondere Unterstützung.
Link zur Pressemitteilung: www.bgw-online.de
Recht
Urteil in der Rechtssache C-485/20 HR Rail
Ein Arbeitnehmer mit Behinderung – und zwar auch derjenige, der nach seiner Einstellung eine Probezeit absolviert –, der für ungeeignet erklärt wird, die wesentlichen Funktionen seiner bisherigen Stelle zu erfüllen, kann einen Anspruch auf Verwendung an einem anderen Arbeitsplatz haben, für den er die notwendige Kompetenz, Fähigkeit und Verfügbarkeit aufweist.
PDF-Download: www.curia.europa.eu
Tipp
Oft werden Menschen mit Behinderungen zu wenig mitgedacht. Manchmal stellen Stufen Hindernisse dar, manchmal fehlt Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt. Wie kann Inklusion besser funktionieren?
Adina Hermann sitzt seit ihrem zehnten Lebensjahr im Rollstuhl. „Ich musste immer um alles kämpfen“, sagt die heute 33-Jährige. Aber davon hat sie sich nicht entmutigen lassen. Für den Verein Sozialhelden setzt sie sich nun auch beruflich für Inklusion ein. In Berlin erstellt sie gemeinsam mit Menschen ohne Behinderung eine sogenannte Wheelmap, eine Art Führer für barrierefreie Orte, die jeder nutzen kann. Sie engagiert sich auch für bessere Jobchancen und faire Löhne. „Menschen mit Behinderungen sind oft mindestens genauso leistungsfähig wie Menschen ohne Behinderung.“
In Österreich arbeitet der Verein „Chance B“ an einem großen Ziel. Elisabeth Grabner will nicht akzeptieren, dass Menschen mit Lernschwächen oft in sogenannten Werkstätten für Behinderte landen, isoliert in einer Sonderwelt, abgespeist mit niedrigen Löhnen. Sie leitet ein besonderes Ausbildungsprogramm, das jedem eine Chance bietet, auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Der 19-jährige Marcus Zellhofer nimmt daran teil. „Meine Ausdauer ist noch ausbaufähig und meine Genauigkeit und dass ich nicht so schnell nervös und hektisch werde.“ Fördern, motivieren, niemanden allein lassen, das ist das Erfolgsrezept von „Chance B“.
Hürden abbauen, Gemeinsamkeiten und Verständnis füreinander aufbauen. Das gelingt am besten beim Sport. Hermann Plagge hat im Emsland ein besonderes Sportangebot ins Leben gerufen. Außergewöhnlich ist, dass eine ganze Region mitmacht. In allen emsländischen Städten und Gemeinden können Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam Sport treiben, etwa Fußball spielen oder Radtouren unternehmen. So kann die Inklusion gelingen.
In der ZDF-Mediathek ansehen www.zdf.de
Deutscher Gehörlosenbund
Bei Teambesprechungen, Kundengesprächen, Telefonaten und Ähnlichem können gehörlose und andere Arbeitnehmer*innen mit Hörbehinderung gesprochenen Dialogen mit Kolleg*innen und Vorgesetzten oft akustisch nicht folgen. Sie benötigen Gebärdensprachdolmetschende (GSD) oder andere geeignete Kommunikationshilfen (sogenannte „Arbeitsassistenz“), um in der Arbeitswelt kommunizieren und ihre volle Arbeitsleistung erbringen zu können. Das Gesetz sieht vor, dass die Kosten dieser Arbeitsassistenz vollumfänglich von den Integrations- und Inklusionsämtern übernommen werden müssen.
Dennoch verweigern die Integrations- und Inklusionsämter häufig die volle Kostenübernahme und gefährden bewusst die Arbeitsplätze gehörloser und anderer Menschen mit Hörbehinderung!
Die Pressemitteilung des Deutschen Gehörlosenbundes vom 3. Februar thematisiert dieses Problem.
Sören Pellmann
„Die Corona-Pandemie traf Menschen mit Behinderung gleich doppelt hart. Nicht nur die Angst um ihre eigene Gesundheit belastete die meist vulnerable Gruppe, sondern auch die zum Schutz notwendigen Maßnahmen, die oft zu spät bereitgestellt wurden. Während Menschen mit Behinderung zuvor schon zu oft an den gesellschaftlichen Rand gedrängt wurden, verschwanden sie in den letzten zwei Jahren praktisch gänzlich aus der öffentlichen Wahrnehmung – leider auch aus der Wahrnehmung der Bundesregierung“, erklärt Sören Pellmann, Sprecher für Inklusion und Teilhabe der Fraktion DIE LINKE, mit Blick auf die Pressekonferenz von Jürgen Dusel, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen am 8. Februar.
Link zur Pressemitteilung: www.linksfraktion.de
ver.di-Forum Nord & Bildungswerk ver.di in Niedersachsen
Fachtagung für die Vertrauenspersonen der Schwerbehinderten sowie für Betriebsräte, Personalräte und Mitarbeitervertretungen
„Nachdem die Fachtagung in 2021 nur als Online-Veranstaltung stattfinden konnte, planen wir die 11. Fachtagung. Wir lenken den Blick auf die Frage: Wie kommen mehr Menschen mit Behinderung in Ausbildung und Arbeit? Wie können Betriebe und Dienststellen Rahmenbedingungen gestalten und welche Handlungsmöglichkeiten haben die SBVen dabei?
Wir werden uns mit den Themen Barrierefreiheit in Betrieb und Dienststelle, Gleichstellung, Präventionsverfahren, Erwerbsminderungsrente und der Beteiligung der SBV bei Einstellungen beschäftigen.
Auch in diesem Jahr haben wir Expertinnen und Experten des Arbeits- und Sozialrechts als Referentinnen und Referenten gewinnen können, die auf dieser Fachtagung die für die Arbeit der SBVen erforderlichen Kenntnisse vermitteln.
In Vorträgen, Diskussionen und Workshops werden die speziellen Themen der SBV thematisiert, gemeinsam bearbeitet und vertieft.
Weitere Informationen & Anmeldung unter www.betriebs-rat.de
Tipp
In einem Berliner Einkaufszentrum begegnen sich zwei Jungen: Stefan, 6 Jahre alt und Peter, 10 Jahre alt, körperbehindert, im Rollstuhl. Über einen Luftballon kommt es zum ersten Kontakt der beiden. Es entwickelt sich ein intensives Spiel, das in einer ausgelassenen Rollstuhlfahrt endet. Die vorbeikommenden Leute und auch die Mütter der beiden reagieren unterschiedlich auf das „Rollstuhlkind" sowie auf dieses Spiel. Ein charmantes Filmdokument aus den 70ern.
Auf YouTube ansehen: www.youtube.com
Gute Nachrichten zur Inklusion
Der Sozialarbeiter und Kämpfer für die Rechte behinderter Menschen Gusti Steiner ist in die Reihe „100 köpfe der demokratie“ aufgenommen worden. Gusti Steiner, der seit seinem 11. Lebensjahr einen Rollstuhl nutzte und 2004 verstorben ist, steht dort in einer Reihe mit Persönlichkeiten wie Konrad Adenauer, Willy Brandt, Erika Mann und weiteren prominenten Fördernden der Demokratie in Deutschland. Die überparteiliche und unabhängige Stiftung „Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus“ hat Gusti Steiner diese Auszeichnung verliehen, wie Dr. Birgit Rothenberg von MOBILE in Dortmund mitteilte.
Link zu www.nw3.de | Link zu www.demokratie-geschichte.de
Ein Vortrag von Andrea Corinna Schöne
3. Vortrag der Online-Vortragsreihe „Dis/Ability der Gegenwart und der Zukunft - Perspektiven der Behindertenbewegung und der Disability Studies“ organisiert vom Transfernetzwerk Soziale Innovation (s_inn) und dem Bochumer Zentrum für Disability Studies (BODYS). Hauptvortragende ist Andrea Corinna Schöne mit einem Kommentar von Prof'in Dr. Dr. Sigrid Graumann. Der Vortrag wurde am 13.01.2022 gehalten.
Link zum Vortrag: www.youtube.com
Aus dem Bundestag
Über die Situation von Menschen, die am Chronischen Fatigue-Syndrom (ME/CFS) erkrankt sind, hat der Petitionsausschuss in seiner öffentlichen Sitzung am Montag diskutiert. Der Petent Daniel Loy, dessen Eingabe Grundlage der Beratung war, hatte dabei eine breitenwirksame Aufklärungskampagne über ME/CFS gefordert. Loy sprach von einer vernachlässigten Erkrankung, „die trotz Häufigkeit und Schwere beispielsweise an keiner deutschen Universität Bestandteil des Curriculums und dementsprechend auch ärztlicherseits kaum bekannt ist“. Folge davon sei, dass die in Deutschland geschätzt 250.000 Erkrankten allein gelassen würden und ihre Erkrankung nicht ernst genommen werde. Dabei sei ME/CFS so gravierend, „dass man am schweren Ende des Spektrums nicht nur dauerhaft bettlägerig ist, sondern auf künstliche Ernährung angewiesen ist, zur Kommunikation nicht mehr in der Lage ist und selbst geringste Sinnesreize wie Licht oder Berührungen nicht mehr ertragen werden können“
Seine Krankengeschichte, so der Petent, habe damit begonnen, dass er sich mit dem Ebstein-Barr Virus infiziert hatte. Erst zwölf Jahre später, nach einer drastischen Verschlechterung seines Gesamtzustandes, sei aber ME/CFS diagnostiziert worden. Der damit verbundene Optimismus, nun therapiert werden zu können, sei in der Folge großem Entsetzen gewichen, sagte Loy. Es habe sich gezeigt, dass es weder Behandlungsansätze noch Versorgungsstrukturen gebe. Stattdessen habe er - wie auch andere Erkrankte - eine Stigmatisierung durch die Medizin und die Gesellschaft gleichermaßen erfahren. Ein deutscher Facharzt habe auf seine ME/CFS Diagnose mit hysterischem Lachen reagiert, sagte er. Dies sei aber keineswegs ein bizarrer Einzelfall.
„Wir brauchen dringend eine Veränderung dieser Situation“, machte der Petent vor den Abgeordneten deutlich. Die Betroffenen müssten endlich ernst genommen werden. Dies gelte jetzt mehr als je zuvor, da aufgrund der Corona-Pandemie viele Neuerkrankungen dazu kämen. Bei Long-Covid, so Loy, handle es sich um nichts anders als um ME/CFS.
Die den Petenten begleitende Leiterin der Immundefekt-Ambulanz an der Berliner Charité, Professor Carmen Scheibenbogen, sprach von erheblichem Nachholbedarf bei der Forschung zu ME/CFS. Die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung angekündigten Fördergelder seien nur „ein Tropfen auf dem heißen Stein“. Scheibenbogen forderte einen „Runden Tisch“ unter Führung der Politik, damit Versorgungsstrukturen aufgebaut und klinische Studien durchgeführt werden könnten. Eingebunden werden müsse aber auch die Pharmaindustrie mit ihrer Medikamentenforschung.
Die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Gesundheit (BMG), Sabine Dittmar (SPD), betonte, die Bundesregierung erkenne den Handlungsbedarf an. Sie verwies auf den Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP, in dem es heißt: „Zur weiteren Erforschung und Sicherstellung einer bedarfsgerechten Versorgung rund um die Langzeitfolgen von Covid19 sowie für das chronische Fatigue-Syndrom (ME/CFS) schaffen wir ein deutschlandweites Netzwerk von Kompetenzzentren und interdisziplinären Ambulanzen.“ Schon jetzt, so Dittmar, sei es mit den Mitteln des Krankenhausstrukturfonds möglich, entsprechende Netzwerke zu etablieren und interdisziplinäre Ambulanzen miteinander zu vernetzen.
hib – heute im bundestag | Nr. 53, Montag | 14. Februar 2022
Kompetenzzentrum Öffentliche IT
Eine Kurzstudie des Kompetenzzentrums Öffentliche IT am Fraunhofer FOKUS aus dem Sommer 2021 von Basanta E. P. Thapa.
Die Kurzstudie trägt aus Literatur und Expert*inneninterviews organisationale Hürden und mögliche Maßnahmen für die Barrierefreiheit digitaler Verwaltungsangebote zusammen. Auch nach zwanzig Jahren gesetzlicher Vorschriften zur Barrierefreiheit in der Informationstechnik ist die Umsetzung trotz großer Fortschritte weiterhin lückenhaft.
Link: www.oeffentliche-it.de
Aus dem Bundestag
Der Petitionsausschuss unterstützt die Forderung nach Anhebung der Altersgrenze im Mammographie-Screening-Programm zur Früherkennung von Brustkrebs bei Frauen in Deutschland von 69 auf 75 Jahre. In der Sitzung am Mittwochmorgen verabschiedeten die Abgeordneten daher mit breiter Mehrheit die Beschlussempfehlung an den Bundestag, eine dahingehende Petition an die Bundesregierung mit dem höchstmöglichen Votum „zur Berücksichtigung“ zu überweisen. Lediglich die AfD-Fraktion hatte für das zweithöchste Votum „zur Erwägung“ plädiert.
In der Begründung zu ihrer öffentlichen Petition verweist die Petentin darauf, dass derzeit nur Frauen im Alter von 50 bis 69 Jahren am bundesweiten Screening-Programm teilnehmen könnten. Diese Altersbegrenzung sei nicht adäquat und bedürfe einer sofortigen Überarbeitung, urteilt sie. Schließlich zeigten die Daten des Robert-Koch-Instituts, dass das Erkrankungsrisiko an Brustkrebs nach dem 69. Lebensjahr weiter steige und etwa doppelt so hoch sei wie im „Einstiegsalter“ von 50 Jahren. Gleichzeitig sei die statistische Lebenserwartung einer Frau in Deutschland in den Jahren nach Einführung des Screening-Programms im Jahr 2002 auf jetzt 86 Lebensjahre gestiegen. Die frühzeitige Erkennung der Krebserkrankung bis zum Alter von 75 Jahren bedeute daher für die Frauen „höhere Heilungschancen und schonendere Behandlung“, heißt es in der Eingabe.
Der Petitionsausschuss macht in der Begründung zu seiner Beschlussempfehlung darauf aufmerksam, dass das organisierte und qualitätsgesicherte Mammographie-Screening-Programm zur Brustkrebsfrüherkennung in Deutschland nach dem Vorbild der bisherigen „Europäischen Leitlinien zur Qualitätssicherung des Mammographie-Screenings“ (EU-Leitlinien) schrittweise zwischen den Jahren 2005 und 2009 aufgebaut worden sei. Dabei seien die seinerzeit auf europäischer Ebene empfohlenen unteren und oberen Altersgrenzen berücksichtigt worden.
Mit Blick auf die sich weiterentwickelnde wissenschaftliche Studienlage seien die Europäischen Leitlinien zu Brustkrebs während der letzten Jahre angepasst und eine aktualisierte Fassung im Sommer 2019 veröffentlicht worden. Empfohlen werde nun, auch Frauen im Alter von 70 bis 74 Jahren in das Mammographie-Screening mit einem Untersuchungsintervall von drei Jahren einzubeziehen, schreiben die Abgeordneten.
Was die Umsetzung der Empfehlung in Deutschland angeht, so verweisen die Parlamentarier darauf, dass beim Mammographie-Screening Röntgenstrahlung zur Anwendung gelange. Das habe zur Folge, dass die Verantwortlichkeiten für Regelungen und Anpassungen des Mammographie-Screenings geteilt sind. Sie lägen in strahlenschutzrechtlicher Hinsicht beim Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) sowie dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) und in krankenversicherungsrechtlicher Hinsicht beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) sowie beim Bundesministerium für Gesundheit (BMG).
Das BMG gehe davon aus, „dass aufgrund künftig parallel geschalteter Prozesse beim BfS und G-BA einerseits Synergien bei der Bewertung der Brustkrebsfrüherkennung mittels Röntgen-Mammographie für Frauen im Altern von 70 bis 74 Jahren und älter geschaffen und anderseits die Gefahr fachlich divergierender Bewertungen vermieden werden“, heißt es in der Beschlussempfehlung. Dies trage auch dazu bei, das Verfahren insgesamt zu beschleunigen. Der Petitionsausschuss begrüßt der Vorlage zufolge die eingeleiteten Maßnahmen, „mit denen jedenfalls mittelfristig die geforderte Anhebung der oberen Altersgrenze im deutschen Mammographie-Screening-Programm erreicht werden könnte“.
hib – heute im bundestag | Nr. 57, Mittwoch | 16. Februar 2022
Beratung für mehr Teilhabe
Arbeitgeber, die schwerbehinderte Menschen beschäftigen wollen, benötigen in der Regel Informationen zur Gestaltung von Arbeitsplätzen, zu möglichen Förderungen und entsprechenden Trägern. Hierfür richten die Integrationsämter derzeit in allen Bundesländern neue Ansprechstellen für Arbeitgeber ein.
Weitere Informationen auf www.reha-recht.de
Jürgen Dusel
Knapp vier Wochen nach seiner erneuten Ernennung zum Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen stellte Jürgen Dusel am 8. Februar in Berlin die Themen vor, die er in der laufenden Legislaturperiode im Schwerpunkt bearbeiten will.
Dabei betonte er, wie wichtig es sei, seine Arbeit als ressortübergreifende Tätigkeit zu begreifen: „Gute Politik für Menschen mit Behinderungen ist eine Querschnittsaufgabe, die alle Lebensfelder und damit alle Ressorts betrifft. Es geht um selbstbestimmte Teilhabe, so gestaltet, dass sie passend ist für jede Lebensphase, jede Lebenssituation. Denn auch Menschen mit Behinderungen sind keine homogene Gruppe. Die Bedarfe und Bedürfnisse sind höchst unterschiedlich, so wie bei jedem und jeder von uns“, so Jürgen Dusel. Deswegen sei es Pflicht des Staates, diese Teilhabe für die 13 Millionen Menschen mit Beeinträchtigungen in Deutschland zu gewährleisten und für umfassende Barrierefreiheit und damit ein menschenwürdiges Dasein zu sorgen. Besonders die Pandemie habe deutlich gemacht, wo es überall noch Handlungsbedarf im Bereich der Inklusion gebe.
Dusel weiter: „Ich bin froh, dass die Regierungskoalition diesen ressortübergreifenden Ansatz in ihren Koalitionsvertrag aufgenommen hat. Jetzt muss es darum gehen, die anstehenden Aufgaben systematisch und im Sinne der Menschen mit Behinderungen anzugehen. Nicht kleckern, sondern klotzen, muss die Devise sein.“
Dusel benannte sechs Themenfelder: Wohnen, Mobilität, Gesundheit, Familien mit chronisch kranken und schwerbehinderten Kindern, Gewaltschutz und Arbeit.
Thema Wohnen
Hier ist es aus Sicht des Beauftragten wichtig, ausreichend bezahlbaren und barrierefreien Wohnraum zu schaffen. Es darf keine einzige öffentlich geförderte Wohnung mehr geben, die nicht barrierefrei gebaut wird. Auch im privaten Sektor muss deutlich mehr barrierefrei gebaut werden. Verschiedene Studien zeigen, dass barrierefreies Bauen langfristig und auch volkswirtschaftlich betrachtet deutlich die Sozialleistungsträger entlastet, insbesondere vor dem Hintergrund des demografischen Wandels. Barrierefreiheit macht bei Neubauten nur einen Bruchteil der Gesamtbaukosten aus. Untersuchungen zeigen, dass viele Kriterien für Barrierefreiheit sogar ganz ohne Mehrkosten erreichbar sind - wenn von Anfang an intelligent geplant wird. Die Kosten für Barrierefreiheit sind im Neubau weitaus günstiger als ein späteres Nachrüsten.¹
Thema Mobilität
Sowohl im Öffentlichen Personennahverkehr als auch bei der Deutschen Bahn bzw. bei privaten Anbietern gibt es noch immer große Einschränkungen für Menschen mit Behinderungen. Beispiele sind der oft unflexible Mobilitätsservice der Deutschen Bahn, fehlende Blindenleitsysteme, Lautsprecherdurchsagen, visuelle Informationen, fehlende Informationen in Leichter Sprache. Jürgen Dusel fordert, dass die klaren gesetzlichen Vorgaben zur Barrierefreiheit eingehalten werden. So müssen mehr Investitionen in Barrierefreiheit getätigt werden, auch müssen mehr Mittel vom Bund für Barrierefreiheit an kleineren und mittleren Bahnhöfen bereitgestellt werden. Bleiben die Förderprogramme in bisherigem Umfang bestehen, braucht es noch rund 30 Jahre, bis alle Bahnhöfe in Deutschland barrierefrei sind. Das ist nicht hinnehmbar. Außerdem müssen Menschen mit Behinderungen stärker als bisher an der Entwicklung von Programmen zur Barrierefreiheit beteiligt werden.
Thema Gesundheit
Das Gesundheitssystem in Deutschland hat ein Qualitätsproblem: Es ist nicht barrierefrei. Dabei haben Menschen mit Behinderungen dasselbe Recht auf ortsnahe gesundheitliche Versorgung in derselben Bandbreite und derselben Qualität wie andere Menschen auch. Das betrifft die ambulante wie die stationäre Versorgung, also Krankenhäuser, Rehabilitationseinrichtungen, ärztliche Praxen und Therapeut*innen. Es gibt nicht nur bauliche Barrieren, sondern es geht auch um nicht barrierefreie Webseiten, fehlende Informationen in Leichter Sprache, Gebärdensprache, vernünftige Blindenleitsysteme. Die Bundesregierung hat sich einen Aktionsplan für ein inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen vorgenommen, der bis Ende des Jahres stehen soll. Jürgen Dusel unterstützt diesen Prozess gerne.
Thema Familien mit chronisch kranken und schwerstbehinderten Kindern
Besonders Familien, in denen chronisch kranke und schwerstbehinderte Kinder leben, stehen unter großen Belastungen. Dabei geht es um die medizinische und pflegerische Grundversorgung des Kindes, aber auch die frühkindliche Förderung und Schulbegleitung. Die Pandemie hat gezeigt, wie schwierig es ist, wenn eingespielte Betreuungsstrukturen plötzlich wegbrechen. Für Eltern von pflegebedürftigen Kindern ist das Alltag - auch außerhalb der Pandemie. Wenn zum Beispiel die Schulbegleitung oder der Pflegedienst ausfallen, ist eine Beschulung nicht möglich. Nicht jeder Arbeitgeber hat Verständnis oder kann Ausfälle kompensieren. Hier stehen also auch Jobs und Existenzen auf dem Spiel, Familien geraten nicht selten in prekäre Situationen bis an die Armutsgrenze. Familien mit schwerstbehinderten und chronisch kranken Kindern müssen sich permanent mit Ärzten, Pflegediensten, unterschiedlichen Therapeuten und Hilfsmittelanbietern, Kranken- und Pflegekassen, Jugendämtern, Kitas und Schulen auseinandersetzen. Die gesetzlichen Leistungsansprüche sind zwar grundsätzlich gut, sie müssen aber viel niedrigschwelliger und unbürokratischer zu den Familien gebracht werden.
Thema Gewaltschutz
Menschen mit Behinderungen haben ein hohes Risiko, Opfer von Gewalterfahrungen in allen Lebensbereichen zu werden. Insbesondere das Thema Gewalt in Einrichtungen der Behindertenhilfe ist Jürgen Dusel ein Anliegen. In Deutschland leben rund 200.000 Menschen mit Behinderungen in sogenannten besonderen Wohnformen. Rund 316.000 sind in Werkstätten für behinderte Menschen beschäftigt. Auch wenn diese Einrichtungen eigentlich ein sicheres und geschütztes Lebens- und Arbeitsumfeld bieten sollen, sieht die Realität häufig anders aus - dies zeigen auch Studien². Die Bewohner*innen und Werkstattbeschäftigten empfinden ihr Leben oft als fremdbestimmt und erleben unterschiedliche Formen von Gewalt - auch untereinander. Auch unrechtmäßige Freiheitsentziehungen bspw. während der Pandemie sind ein Thema. Die neue Regierungskoalition hat eine ressortübergreifende politische Strategie gegen Gewalt geplant, die die Gewaltprävention und die Rechte der Betroffenen in den Mittelpunkt stellen soll. Diesen Prozess wird Jürgen Dusel gemeinsam mit dem Deutschen Institut für Menschenrechte eng begleiten.
Thema Arbeitsmarkt
Menschen mit Behinderungen profitieren systematisch weniger von Aufschwüngen am Arbeitsmarkt, zudem gibt es für sie eine größere Gefahr von Langzeitarbeitslosigkeit, besonders im Alter über 50. Die Arbeitslosenzahlen sinken nicht so schnell wie bei Menschen ohne Behinderungen. So lag die Zahl der Langzeitarbeitslosen bei schwerbehinderten Menschen 2021 bei rund 47 Prozent, die allgemeine Langzeitarbeitslosenquote dagegen nur bei rund 39 Prozent. Auch die Corona-Pandemie zeigt: Die Arbeitsmarktsituation für Menschen mit Behinderungen erholt sich langsamer als für Menschen ohne Behinderungen. 2021 waren im Durchschnitt 172.484 Menschen mit Behinderung arbeitslos – erneut mehr als im Vorjahr. Das sind 11,5 Prozent mehr Arbeitslose mit Behinderungen als im Vergleichszeitraum vor der Pandemie im Jahr 2019.
Daher braucht es vermehrt Anstrengungen auf dem Arbeitsmarkt, damit Menschen mit Behinderungen die Chancen erhalten, die sie brauchen. Zudem muss in dieser Legislatur die Ausgleichsabgabe erhöht und eine vierte Stufe eingeführt werden - für die Unternehmen, die keinen einzigen Menschen mit Behinderung einstellen. Immerhin ein Viertel aller beschäftigungspflichtigen Unternehmen.
1 Studie „Barrierefreies Wohnen im Kostenvergleich“ (Terragon Wohnbau)
2 https://www.bmas.de/DE/Service/Presse/Meldungen/2021/studie-gewaltschutzstrukturen-menschen-mit-behinderungen-in-einrichtungen.html
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