April 2023

    SBV InfoBrief
    Ausgabe Nr. 45

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

……. die Empörung ist groß! Da wird ein „Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarktes“ auf den Weg gebracht und auf diesem eingeschlagenen Weg verliert die Regierungskoalition völlig die Orientierung! Neben ein paar strukturellen Verbesserungen, viel Ärgerliches. Was nützen Ampeln, wenn sie in der Realität immer auf Rot stehen?

Wurde noch in der Koalitionsvereinbarung (Seite 72) u.a. vollmundig verkündet: „Das betriebliche Eingliederungsmanagement stärken wir“, ist davon im vorliegenden Gesetzentwurf nichts zu finden. Und als Instrument auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite wollte man das betriebliche Eingliederungsmanagement mit dem Ziel etablieren, „es nach einheitlichen Qualitätsstandards flächendeckend verbindlich zu machen (Beispiel „Hamburger Modell“). Dabei setzen wir auch auf die Expertise der Schwerbehindertenvertrauenspersonen“ (Seite 79). War wohl wieder einmal viel Wind um nichts?!

Dazu zitierte Franz-Josef Düwell im Anhörungsverfahren die aktuelle Rechtsprechung des BAG: „§ 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX begründet keinen Individualanspruch der betroffenen Arbeitnehmer auf Einleitung und Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements.“ Und Düwell ergänzte, dass seitdem jedem Arbeitgeber ein Tor geöffnet wäre, wie er Kranke ohne Sanktion ausgliedern könne. Hier müsse es eine klarstellende Änderung des bestehenden Rechts geben. Zum wiederholten Male lesen wir in Koalitionsvereinbarungen Ankündigungen, die im Mahlwerk der politischen Ränke zerrieben werden.

Schlimm ist es auch, wenn bestehende Regelungen per Gesetz verschlechtert werden sollen! War im Referentenentwurf noch eine kleine Verbesserung in Bezug auf die Wiedereingliederung nach dem Hamburger Modell zu finden, ist diese im Gesetzentwurf ausradiert. Wie man hört, initiiert von der Klientelpartei FDP. Und auch das bisherige Bußgeld, wen Arbeitgeber gegen auferlegte Pflichten nach den §§ 154, 163, 164 oder 178 SGB IX verstoßen, ist gestrichen! Arbeitgeber müssen künftig gar keine Anstrengungen mehr unternehmen, schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen, sie müssen nur noch zahlen und können die Ausgleichabgabe auch noch von der Steuer absetzen!

Immerhin hatte der zuständige Staatssekretär Dr. Schmachtenberg am 22. März eine ganze Viertelstunde Zeit um die 5810 Protestpostkarten zum Thema BEM aus den Händen Der Kolleginnen und Kollegen der „BEM-Initiative“ entgegenzunehmen (siehe Titelfoto). Was folgern wir daraus? Weiterhin die Petition unterschreiben und bewerben!

Je weniger die Leute davon wissen, wie Würste und Gesetze gemacht werden,
desto besser schlafen sie.
(Otto von Bismarck | 1815 – 1898)

„Wer Inklusion will, findet einen Weg. Wer sie nicht will, findet Ausreden.“ Wenn Raúl Aguayo-Krauthausen (dieses Mal mit Julian Mehne) ein Buch schreibt, dann steht es mittlerweile im Buchhandel im Bestseller-Regal. Das ist einerseits erstaunlich, andererseits sehr begrüßenswert. Erstaunlich, da die Verkaufszahl kaum ein Gradmesser für die Qualität und Stand der Inklusion in Deutschland sein kann! Begrüßenswert, weil die Idee der Inklusion sich mit diesem Buch weiterverbreiten wird. Also wünschen wir dem Buch viele Leserinnen und Leser auch, bzw. gerade, unter den Ausreden suchenden „Aber-Sagern“, wie Raul sie nennt.

Lesen stärkt die Seele.
(François-Marie Arouet, „Voltaire“ | 1694 – 1778)

Zwei interessante Urteile hat das Bundessozialgericht gefällt. Sie betreffen die Zuerkennung des
Merkzeichen aG. Das Gericht stellt klar, dass die Gehfähigkeit im öffentlichen Verkehrsraum maßgeblich für
das Merkzeichen aG ist! Ein Hoffnungsschimmer für diejenigen, die ihre sehr stark eingeschränkte Mobilität im privaten Umfeld noch ein wenig nutzen können, aber im öffentlichen Raum dringend der mit dem Merkzeichen verbundenen Nachteilsausgleiche bedürfen! Es bleibt zu hoffen, dass sich diese Rechtsprechung auch in den Landessozialämtern herumspricht.

Selbst vor Gericht finden noch einige Lernprozesse statt.
(Martin Gerhard Reisenberg | *1949)

Wir müssten lernen, mit dem Virus zu leben, so geht es seit einiger Zeit im Hinblick auf Corona und Covid 19 durch die Medien. Wir befinden uns also in einer „neuen Realität“, wie es immer wieder heißt. Aber – Achtung – es gibt zwei neue Realitäten: die eine ist jene Realität der Menschen, die meinen, auch wiederholte Infektionen überstehen zu können und denen dies auch mehr oder weniger gut gelingt. Eine andere Realität besteht für viele behinderte und vorerkrankte Menschen, die weiterhin in Sorge leben und teilweise wenig oder gar nicht am öffentlichen Leben teilnehmen. In New York fordert der Bürgermeister mittlerweile, dass die Masken beim Betreten von Geschäften abgenommen werden sollen, um Kunden erkennen zu können und Diebstähle zu verhindern. In Österreich ist durch den Fall der Maskenpflicht das Verhüllungsverbot in der Öffentlichkeit wieder wirksam. Man arbeite an einer Lösung des Problems, heißt es in Wien. Ein Realitätenwechsel könnte schneller nicht gehen, wenn ich an die Bilder bspw. aus Bergamo oder vielen Städten der USA zurückdenke!

Herzliche Grüße! Eine interessante Lektüre wünscht

Jürgen Bauch

sbv-infobrief@htp-tel.de

Universität Kassel

Das Projekt soll die Inklusion von Menschen mit Behinderungen in den ersten Arbeitsmarkt durch Wissenstransfer und eigene Forschung fördern. Hierzu zählt die wissenschaftliche Begleitung bzw. Beratung des Forums inklusive Privatwirtschaft, dass die Beauftragte der Hessischen Landesregierung für Menschen mit Behinderung, Frau Rika Esser, initiiert hat. Es hat die verbesserte Inklusion vor allem in kleinen und mittleren Unternehmen zum Ziel. Über das Forum hinaus soll der Anteil von Menschen mit Behinderungen in der Landesverwaltung gesteigert werden. Im Rahmen des Forums wird unter anderem die Frage gelingender Ausbildungsübergänge diskutiert.

Broschüre zur Inklusion in beruflichen Ausbildungsübergängen - strukturelle Probleme und politische Handlungsmöglichkeiten: www.uni-kassel.de

Tipp

Menschen mit geistiger Beeinträchtigung haben auf dem deutschen Arbeitsmarkt kaum Chancen auf Beschäftigung - auch dann nicht wenn sie arbeiten wollen und könnten. Ihnen bleibt nur die Ausbildung in einer Werkstätte für Menschen mit Behinderung, wo sie dauerhaft zu Niedriglöhnen beschäftigt werden.

Link zur ARD-Mediathek: www.ardmediathek.de

Tipp

Der allgemeine Arbeitsmarkt ist leider nach wie vor nicht inklusiv. Behinderte Menschen erleben häufig, dass Arbeitgeber*innen teils wenig anpassungsfähig sind. Warum es sich trotzdem lohnt, dass Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen einen Schritt aufeinander zuzugehen, erklärt Milena Ferenschild auf dieneuenorm.de.

Bundesweites BEM-Bündnis

Presseerklärung anlässlich der öffentlichen Postkartenübergabe ans Bundesarbeitsministerium am 22.3.2023 in Berlin

Der Fachkräftemangel schreitet unaufhaltsam voran. Betriebe in allen Branchen suchen vergeblich neue Mitarbeitende. Umso wichtiger ist es, vorhandenes Personal zu halten und vor allem gesund zu erhalten. Hier spielen das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) und die Wiedereingliederung nach dem Hamburger Modell als betriebliche Instrumente eine entscheidende Rolle. „Tausende von Beschäftigten könnten sich noch im aktiven Arbeitsleben befinden, wenn die dafür erforderlichen Gesetze entsprechend der Umsetzung dieses Zieles entsprechend eindeutig formuliert wären“, so der Sprecher der bundesweiten BEM – Initiative, Walter Brinkmann.

Diese gesetzlichen Lücken soll der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Inklusiven Arbeitsmarkt im Sinne des Koalitionsvertrags schließen. „In dieser Hinsicht verfehlt der Gesetzentwurf die notwendigen gesetzlichen Klarstellungen aber vollkommen“ so Silke Buchborn, Schwerbehindertenvertretung bei der Diakonie Himmelsthür. „Vollkommen unverständlich und kontraproduktiv ist sogar noch die im Gesetzentwurf vorgesehene Streichung des § 238 Abs.1 Nr. 1, SGB IX, wonach die Verhängung eines Bußgeldes gegen Betriebe, die grob fahrlässig und absichtlich keine Menschen mit Behinderung beschäftigen, gestrichen werden soll. So kommen wir keinen Schritt voran“, meint Jörg Dorka, Schwerbehindertenvertreter bei Evonik Industries und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Schwerbehindertenvertretungen in NRW e.V.

„Wir stellen fest, das die bisherigen Gesetze und Instrumente in der betrieblichen Realität nicht ausreichend sind, denn sonst gäbe es keine überdurchschnittliche Erwerbslosigkeit bei Menschen mit Behinderungen“, sagt Michaela Götze von der Gesamtschwerbehindertenvertretung der T-Systems in Berlin.

Damit Fortschritte für mehr und längere Beschäftigungen mit gesundem Arbeitnehmer*innen möglich sind, ist es zwingend erforderlich, folgende Forderungen ins Gesetz aufzunehmen.

Die Forderungen an die Mitglieder des Deutschen Bundestags lauten:

  1. Rechtsanspruch auf stufenweise Wiedereingliederung für alle Beschäftigten nach dem Hamburger Modell  
  2. Eindeutige rechtliche Regelungen zur Verpflichtung der Implementierung eines Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM)in den Betrieben mit einem verbindlichen einforderbaren Rechtsanspruch der Beschäftigten
  3. Erhalt des § 238 Abs.1 Nr.1 im IX-Sozialgesetzbuch mit einer veränderten Zuständigkeit zur Verbesserung der Anwendung und Durchsetzung dieser Rechtsnorm

www.bem-initiative.net

Aufruf zur Aktion!

Der Gesetzentwurf zur Förderung des inklusiven Arbeitsmarkts (PDF-Datei) fördert die Frühverrentung und lässt ausdrücklich den Freikauf von der Beschäftigungspflicht zu. Er muss deshalb geändert werden!

Aktuell engagieren wir uns gegen den sozialpolitischen betrieblichen Wahnsinn einer arbeitnehmerfeindlichen Politik, die im neuen Gesetz zementiert werden soll – und das im völligen Gegensatz zu den Aussagen der SPD-Vorsitzenden uns gegenüber wie auch gegenüber den Festlegungen der Ampelregierung im Koalitionsvertrag.

Wer aber gegen etwas kämpft sollte auch wissen, welches unsere eigentlichen Ziele beim BEM sind. Der wesentliche Kern unserer Forderung ist eine Ausweitung der Mitbestimmung für die gewählten Interessenvertreter*innen. Ohne der Ausweitung der Mitbestimmung wird es keine Verbesserungen geben.

Bitte unterschreibt und werbt für die Petition an den Bundesarbeitsminister! Danke!!!

Der Initiator, Walter Brinkmann, hat eine Website eingerichtet in der auch für einen Offenen Brief von Betriebsräten, Personalräten, Mitarbeitervertretungen, Schwerbehindertenvertretungen und Belegschaften an den/die jeweils zuständigen Bundestagsabgeordnete/n, sowie an Bundesminister Hubertus Heil geworben wird. Ein Textvorschlag ist auf dieser Seite ebenso zu finden, wie die Möglichkeit, Postkarten herunterzuladen und an den Minister zu senden!

www.bem-initiative.net

www.reha-recht.de

Die Autorin Prof. Dr. Katja Nebe, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, nimmt in dem Beitrag Stellung zum Entwurf des Gesetzes zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarktes. Der aktuelle Regierungsentwurf des Gesetzes zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarktes soll dazu beitragen, Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen in Arbeit zu halten. Dem entgegen werden allerdings weder das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) noch die Stufenweise Wiedereingliederung (historisch als „Hamburger Modell“ im Krankenversicherungsrecht verankert) als naheliegende Maßnahmen im derzeitigen Gesetzentwurf behandelt, obwohl der Gesetzgeber selbst von deren Schlüsselstellung und Wirksamkeit ausgeht. Aus Sicht der Autorin besteht die Gefahr, dass der Gesetzgeber seine klar erkennbaren Aufgaben nicht erfüllt und dadurch eine bereits bekannte Rechtsschutzlücke bestehen bleibt. Sie plädiert daher dafür, dass diese Durchsetzungslücke rasch im Zuge des derzeitigen Gesetzesvorhabens geschlossen wird, um die Rechtsdurchsetzung zu stärken.

Link zum Text: www.reha-recht.de

Lesetipp

„Inklusion, ein anderes Wort für Demokratie“, so überschreibt Prof. Dr. Heribert Prantl seine Kolumne in der Süddeutschen Zeitung.

Er zitiert u.a. aus der Präambel der Schweizer Verfassung: „Die Stärke eines Volkes misst sich am Wohl der Schwachen!“ Jedoch werde die Stärke eines Staates gern an ganz anderen Faktoren bemessen wird - wenn mehr Militär, mehr Polizei, mehr Gefängnis gefordert wird. Kaum jemand redet vom starken Staat, wenn es darum geht, eine angemessene Förderung von Menschen mit Behinderungen durchzusetzen, so Prantl.

Vielleicht sollte Heribert Prantl noch einmal seine Gedanken zur gesellschaftlichen Aufgabe der „Fürsorge“ für behinderte Menschen überdenken, aber ansonsten ist es ein interessanter Text, gut geeignet, ihn unter das Kopfkissen der Verantwortlichen zu legen. Vielleicht hilft´s.

Veröffentlicht auf www.forsea.de

Aus dem Bundestag

Der Großteil der befragten Sachverständigen begrüßt die im Gesetzentwurf (20/5664) der Bundesregierung geplante Einführung einer „vierten Stufe“ bei der Ausgleichsabgabe. Das Wegfallen der Bußgeldregelung für „Null-Beschäftiger“ wiederum kritisierten einige Experten. Dies ging aus einer Anhörung zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts hervor, die Montagnachmittag im Ausschuss für Arbeit und Soziales stattfand. Gegenstand der Anhörung waren neben dem Gesetzentwurf, Anträge der AfD-Fraktion (20/5999) und der Fraktion die Linke (20/5820).

Der Gesetzentwurf zielt darauf ab, mehr Menschen mit Behinderung auf den sogenannten ersten Arbeitsmarkt zu bringen. Erreicht werden soll dieses Ziel unter anderem durch die Einführung einer höheren Ausgleichsabgabe für Betriebe, die trotz gesetzlicher Vorgaben keine Menschen mit Behinderung beschäftigen („vierte Stufe“). Sogenannte Null-Beschäftiger mit mehr als 60 Angestellten müssen künftig 720 Euro monatlich pro unbesetzter Stelle zahlen. Bislang gab es drei Stufen der Ausgleichszahlung, die höchste sah einen Betrag von 360 Euro vor. Im Gegenzug soll die Bußgeldregelung abgeschafft werden. Bislang können „Null-Beschäftiger“ zunächst mit einem Bußgeld von bis zu 10.000 Euro belegt werden.

Da noch immer viele Unternehmen die Beschäftigungspflicht nicht erfüllten, sei die Einführung der vierten Stufen „absolut richtig“, sagte Dorothee Czennia vom Sozialverband VdK Deutschland e.V. Jörg Polster vom Allgemeinen Behindertenverband in Deutschland e.V. kritisierte, dass Unternehmen die Ausgleichsabgabe weiterhin steuerlich absetzen könnten.

Dass die Ausgleichsabgabe künftig zweckgebunden zur Förderung von Menschen mit Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt genutzt werde, begrüßte Claudia Rustige von der Bundesarbeitsgemeinschaft Inklusionsfirmen e.V. Da der inklusive Arbeitsmarkt laut Rustige eine „gesamtgesellschaftliche Aufgabe“ ist, muss eine Finanzierung durch Haushaltsmittel gesichert sein. Konstantin Fischer (Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen) mahnte, dass „Dienste und Einrichtungen“ weiterhin dieselbe Qualität gewährleisten müssten, auch wenn die Ausgleichsabgabe als Finanzierungsmöglichkeit für die Werkstätten mit der neuen Zweckbindung wegfalle. Die Werkstätten thematisierte auch Janina Jänsch vom Bundesverband für körperlich- und mehrfachbehinderte Menschen. So müsse dringend der Übergang von Schule zu Beruf in den Fokus gesetzt werden, um dem „Automatismus, von Förderschule direkt in die Werkstatt zu gehen“, entgegenzuwirken, sagte sie.

Als „Skandal“ bezeichnete der ehemaligen Richter am Bundesarbeitsgericht Franz Josef Düwell das Wegfallen der Bußgeldregelung. Der Staat habe dadurch künftig keine Möglichkeit mehr, Unternehmen bei Nicht-Beschäftigung durch eine Ordnungswidrigkeit zu belangen. Auch Felix Welti (Universität Kassel) kritisierte das Vorhaben, das Bußgeld zu streichen. Eine „Nicht-Beschäftigung“ stelle eine Diskriminierung im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention dar und müsse entsprechend als Ordnungswidrigkeit behandelt werden.

Zweifel an der Effektivität einer vierten Stufe äußerte Olivia Trager (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände e.V.).„Weitere Sanktionierungen“ seien nicht der richtige Schritt, da eine Beschäftigung von Menschen mit Behinderung nicht am Willen der Unternehmen scheitere und höhere Abgaben die Wirtschaft insgesamt stärker belasten würden, sagte sie.

Monika Labruier, die als Geschäftsführerin der ProjektRouter gGmbH aktiv auf einen inklusiven Arbeitsmarkt hinarbeitet, betonte, dass Jobcoaches und eine gute Beratung für Unternehmen entscheidend seien, um mehr Menschen mit Behinderung auf den ersten Arbeitsmarkt zu holen.

Dass der Gesetzentwurf ein sogenanntes Genehmigungsverfahren vorsieht, begrüßte Evelyn Räder vom Deutschen Gewerkschaftsbund. Dadurch würden Anträge, sollte das Integrationsamt sich nicht binnen sechs Wochen einschalten, automatisch als genehmigt gelten.

Eva-Maria Thoms (mittendrin e.V.) berichtete von ihrer Erfahrung mit dem Projekt „Ausbildung mittendrin“: Es sei hierbei kein Problem, Auszubildende mit geistiger Beeinträchtigung auf dem Arbeitsmarkt zu bringen. Vielmehr seien systematische Hürden im Weg, sagte Thoms. So seien beispielsweise Berufsschulen nicht darauf vorbereitet, mit der neuen Zielgruppe umzugehen.

Die Anhörung zum Gesetzentwurf im Video, die Liste der Sachverständigen und deren Stellungnahmen auf bundestag.de: www.bundestag.de

hib – heute im bundestag |Nr. 222 | Dienstag, 28. März 2023

Statistik

Schwerbehinderte Menschen und Schwerbehindertenquoten nach Altersgruppen 2021:
Im Jahr 2021 lebten in Deutschland etwa 7,8 Mio. Menschen, die als schwerbehindert anerkannt worden sind. Das entspricht einem Anteil an der Gesamtbevölkerung von 9,4 %. Das Risiko, mit einer Schwerbehinderung zu leben, ist dabei zwischen den Altersgruppen sehr unterschiedlich ausgeprägt: Während in den jüngeren und mittleren Lebensjahren Zahl und Anteil der schwerbehinderten Menschen noch gering sind, ändert sich ab der Altersgruppe 45 Jahre und mehr das Bild. Die Schwerbehindertenquote steigt rapide an, von 6,3 % (45 - 55 Jahre) über 10,5 % (55 - 60 Jahre) auf 24,5 (65 Jahre und älter).

Schwerbehinderte Menschen nach Altersgruppen und Grad der Behinderung 2021:
Eine (Schwer-)Behinderung ist in den meisten Fällen nicht angeboren, sondern wird im Lebensverlauf meist durch Krankheit oder durch weitere Umstände (z.B. Unfall) „erworben“. Entsprechend steigt das Risiko (schwer-)behindert zu werden mit zunehmendem Alter. Angeborene Behinderungen oder sonstige Umstände, die zu einer Behinderung im Kinder- und Jugendalter führen sind statistisch wenig relevant – im Jahr 2021 sind etwa 0,2 % der Schwerbehinderten jünger als 4 Jahre. Im Umkehrschluss sind mehr als drei Viertel (79,0 %) der schwerbehinderten Menschen 55 Jahre und älter, und mehr als die Hälfte (57,9 %) ist 65 Jahre und älter. Während 0,5 % der unter 4 Jahre alten Kinder eine Schwerbehinderung aufweisen, sind es knapp 25 % bei den Menschen die älter als 65 Jahre alt sind.

Anzahl der Menschen mit Schwerbehinderungen nach Art der Behinderung 1999 – 2021:
Die Anzahl an Menschen, die von Seh- und Hörstörungen betroffen sind, weisen einen relativ konstanten Verlauf vor. Erfreulicherweise ist die Anzahl der Menschen, die auf Grund einer dauerhaften Funktionsstörung des Herz-Kreislauf-Systems eine Schwerbehinderung vorweisen, in den letzten Jahren nach unten gegangen.

Während 1999 noch mehr als 404 Tausend Menschen eine Schwerbehinderung auf Grund von Problemen mit dem Herz-Kreislauf-System hatten, waren dies 2019 nur noch 236 Tausend Menschen. Betrachtet man die Anzahl der Personen mit Einschränkungen in den Beinen, so ist diese Zahl in den letzten Jahren ebenfalls stark rückläufig.

Eine stark gegenläufige Entwicklung findet sich bei der Anzahl der Menschen, die eine psychische Schwerbehinderung aufweisen: 1999 besaßen rund 72 Tausend Menschen eine nachgewiesene psychische Schwerbehinderung, die zu den Neurosen bzw. den Verhaltens- und Persönlichkeitsstörungen gehört. Diese Zahl hat sich in den letzten 20 Jahren mehr als versechsfacht, sodass 2021 mehr als 457 Tausend Menschen eine psychische Schwerbehinderung dieser Art besaßen.

Quelle: www.sozialpolitik-aktuell.de

Bundesagentur für Arbeit

Schwerbehinderter Menschen sind weiterhin überproportional von Arbeitslosigkeit betroffen. Dies zeigen die neuesten Zahlen der Bundesagentur für Arbeit. Im Februar meldet die Bundesagentur für Arbeit 2023 166.507 behinderte Menschen arbeitslos gemeldet.

Das sind fast 1.000 mehr als im Januar 2023 und nur 2.300 wenige als im Februar 2022. Vor dem Beginn der Corona-Pandemie im Februar 2020 waren noch 159.074 behinderte Menschen bei der Bundesagentur für Arbeit arbeitslos gemeldet, also über 7.000 weniger als derzeit.

Wenn man die ca. 300.000 Menschen in Werkstätten für behinderte Menschen hinzurechnet, die meist ohne echte Chancen für eine Integration auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sind, wird deutlich, welche Aufgaben die Politik noch zu erledigen hat!

Quelle: Monatsbericht der Bundesagentur für Arbeit im Februar (pdf) www.arbeitsagentur.de

Aus dem Bundestag

Die geplante Neustrukturierung der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD) stößt bei Sozialverbänden auf Kritik. Mit dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) als dem wesentlichen Geldgeber sei die Unabhängigkeit der Beratung nicht gewährleistet, erklärten die Sozialverbände in einer Anhörung über den Gesetzentwurf (20/5334) der Bundesregierung. Auch die GKV selbst lehnt ein solches Finanzierungsmodell ab und spricht von einem Konstruktionsfehler. Die Sachverständigen äußerten sich am Mittwoch in der Anhörung des Gesundheitsausschusses sowie in schriftlichen Stellungnahmen.

Die UPD soll dem Entwurf zufolge neu strukturiert und in einer Stiftung bürgerlichen Rechts verstetigt werden. Der GKV-Spitzenverband und die privaten Krankenversicherungsunternehmen (PKV) sollen der Stiftung mit Jahresbeginn 2024 einen Gesamtbetrag von jährlich 15 Millionen Euro zuweisen. Der Anteil der PKV soll bei sieben Prozent liegen.

Seit Januar 2016 betreibt die Callcenter-Firma Sanvartis die UPD. Zuvor wurde der Auftrag von einer Bietergemeinschaft aus Sozialverband VdK, Verbraucherzentrale Bundesverband und Verbund unabhängige Patientenberatung (VuP) wahrgenommen.

Der VdK befürwortet die Stiftungslösung, sieht aber die Rolle der GKV kritisch. Mit der GKV als Geldgeberin und Stifterin sei die Unabhängigkeit nicht gewährleistet. Die UPD berate viele Menschen in Anliegen, die GKV-Leistungen beträfen, häufig gehe es um Ansprüche gegenüber Kostenträgern. Es sei widersinnig, eine Beratung zu schaffen, die durch einen Akteur finanziert werde, gegen den sich ein Großteil der Beratungsvorgänge richte. Der VdK sprach sich dafür aus, die UPD aus Steuermitteln zu finanzieren.

Ähnlich argumentierte der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), der ebenfalls für eine Finanzierung aus Steuermitteln plädierte, um die Unabhängigkeit der Stiftung zu gewährleisten. Zudem bedürfe es für die Stiftungsarbeit zwingend einer Trennung in strategische Steuerung und operative Umsetzung sowie einer Anbindung der Patientenorganisationen an den Stiftungsvorstand.

Der GKV-Spitzenverband erklärte, die Patienten- und Verbraucherberatung sei zuvorderst eine gesamtgesellschaftliche Querschnittsaufgabe, die aus Steuermitteln finanziert werden sollte. Die GKV solle die UPD-Stiftung wesentlich finanzieren und als Stifterin fungieren, erhalte aber nicht die verfassungsrechtlich erforderlichen Mitwirkungsrechte und lehne dieses Konstrukt ab.

Der Einzelsachverständige Rolf Rosenbrock widersprach und erklärte, die Finanzierung durch die GKV mit einem Zuschuss der PKV sei sachgerecht, weil Information und Beratung unzweifelhaft zum Leistungsumfang einer sozialen Krankenversicherung gehörten. Der Gesundheitsforscher geht davon aus, dass die Stiftungskonstruktion geeignet ist, ein unabhängiges, staatsfernes und dauerhaftes Informations- und Beratungsangebot zu gewährleisten. Er plädierte allerdings dafür, dass die Patientenorganisationen ihre Vertreter im Stiftungsrat selbst bestimmen dürfen.

In der Anhörung machten Sachverständige nicht nur verfassungsrechtliche Bedenken geltend, sondern äußerten auch Zweifel, ob die Zeit zur Umsetzung der geplanten Struktur bis Jahresbeginn 2024 ausreicht. Ein Vertreter der jetzigen UPD warnte vor einem Personalverlust in der Beratung. Mitarbeiter orientierten sich bereits um, weil sie keine klare Perspektive erkennen könnten. Sollte sich dies nicht zeitnah ändern, sei das Beratungsangebot womöglich nicht aufrecht zu erhalten.

Stellungnahmen der Verbände und Sachverständigen: www.bundestag.de

Recht

Arbeitnehmer sind gesetzlich unfallversichert, solange sie eine betriebsbezogene Tätigkeit verrichten. Anders als die dem privaten Lebensbereich zuzurechnende Nahrungsaufnahme selbst, ist das Zurücklegen eines Weges, um sich Nahrungsmittel zu besorgen, grundsätzlich versichert. Verletzt sich ein Versicherter auf dem Weg zum Getränkeautomaten, sei dies daher als Arbeitsunfall anzuerkennen. Dies entschied in einem am 21.02.2023 veröffentlichten Urteil der 3. Senat des Hessischen Landessozialgerichts (Az. L 3 U 202/21).

Link zum Urteil: www.lareda.hessenrecht.hessen.de

Tipp

Warum tun wir uns mit Inklusion so schwer? Was bedeutet Barrierefreiheit eigentlich wirklich? Und wie gehen wir mit unserem eigenen internalisierten und dem Ableismus anderer um?

Raúl Krauthausen ist der bekannteste Aktivist für Inklusion und Barrierefreiheit – und die lauteste Stimme in Deutschland, wenn es um die Durchsetzung der Rechte von Menschen mit Behinderung geht. «Betrachten Sie Behinderung einfach als eine Eigenschaft wie die Haarfarbe» ist eine seiner zentralen Botschaften, und er kämpft auf allen Plattformen – analog und digital – für Sichtbarkeit und gegen Diskriminierung. In seinem neuen Buch wirft er grundlegende und oft unangenehme Fragen zur Inklusion in Deutschland auf, bringt seine Leser*innen dazu, sich mit ihrem eigenen Ableismus auseinanderzusetzen, und entwickelt eine Idee davon, wie Inklusion auf allen Ebenen wirklich zu leben ist.

Das Buch liefert Argumente gegen Ausgrenzung und für Inklusion en gros. Empfehlenswert für Inklusionistinnen und Inklusionisten und die, die es werden wollen.

Link zur Verlagsseite: www.rowohlt.de

Der Paritätische

Der Paritätische hat eine Checkliste für barrierefreie Online-Veranstaltungen veröffentlicht.

Wie organisiere und gestalte ich meine Online-Veranstaltung so, dass sie auch für Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen zugänglich ist? Ergänzend zur Handreichung Online-Veranstaltungen hat eine Arbeitsgruppe Paritätischer Mitgliedsorganisationen, koordiniert vom Projekt #GleichImNetz, Tipps und Hinweise zusammengetragen. Die knappen Stichpunkte liegen als Online-Checkliste vor, die stetig ergänzt wird und nach individuellen Fragestellungen gefiltert und sortiert werden kann.

Link zur Checkliste: www.der-paritaetische.de

Aus dem Bundestag

Die Fraktion Die Linke fordert „mehr Schritte hin zu einem inklusiven Arbeitsmarkt“. In einem Antrag (20/5820) bezieht sich die Fraktion auf einen von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf zur „Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts“ (20/5664). Dieser enthalte zwar einige Regelungen, „die Verbesserungen für Menschen mit Behinderungen am Arbeitsmarkt erwarten lassen“. Zu wichtigen Aspekten zur Schaffung eines inklusiven Arbeitsmarktes enthalte der Gesetzentwurf allerdings keine ausreichenden Regelungen. So würden beispielsweise arbeitslose Menschen mit Behinderung „völlig vergessen“. In diesem Zusammenhang schlägt die Fraktion unter anderem spezielle Fördermaßnahmen insbesondere für langzeitarbeitslose Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen vor.

Kritisch sehen die Abgeordneten unter anderem zudem, dass die bisher bestehenden drei Staffeln der Ausgleichsabgabe gar nicht erhöht werden sollen. „Dies ist angesichts der dauerhaft höheren Arbeitslosigkeit von Menschen mit Behinderungen nicht ausreichend und verfehlt eine stärkere Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts“, heißt es in dem Antrag. Die geplante Abschaffung der Bußgeldregelung sende ferner das „vollständig falsche Signal“ an Betriebe, die überhaupt keine Menschen mit Behinderung beschäftigen. Aus Sicht der Fraktion sollte der gegenläufige Weg eingeschlagen werden: Die Bußgeldregelung für Verstöße gegen die Beschäftigungspflicht solle erhalten bleiben. Zudem dürfe die Ausgleichsabgabe nicht länger als Betriebsausgabe steuerlich absetzbar sein, fordern die Abgeordneten.

hib – heute im bundestag | Nr. 163 |Donnerstag, 2. März 2023

Justiz

Ulrich Badde ist blind - und leitet als Vorsitzender Richter an einem Landgericht eine Kammer. Er spricht über seinen Arbeitsalltag, seinen Werdegang und was die Gesellschaft von Kindern lernen könnte.

Ulrich Badde macht als Vorsitzender Richter am Landgericht Münster Karriere.* Seine Kammer ist unter anderem zuständig für Betreuungssachen von psychisch Erkrankten und Insolvenzverfahren.

Badde kann sich den Wortlaut vom Computer vorlesen lassen. Auch hat der Jurist eine Assistentin, die ihm beim Studium der Akte durch den Wust von Anwaltsschreiben und Urteilen aus der ersten Instanz hilft. Dafür braucht der Richter im Landgericht Münster seine Augen nicht.

Link zum Artikel auf Legal Tribune Online: www.lto.de

Nutzung digitaler Medien und Geräte

Sich online mit Familie, Freunden und Bekannten austauschen, über aktuelle Themen informieren oder an gesellschaftlichen Diskussionen und Prozessen beteiligen: Es ist inzwischen klar, dass gesellschaftliche Teilhabe digitale Kompetenzen voraussetzt. Dies gilt insbesondere für Menschen, die mit Sinnes- und Mobilitätsbeeinträchtigungen leben: Eine sichere und souveräne Nutzung digitaler Medien und Geräte kann für eine selbstständige und selbstbestimmte Gestaltung des Lebensalltags sorgen. Um die vielfältigen Chancen der Digitalisierung für Menschen mit Beeinträchtigungen verständlich und erlebbar zu machen, bietet der Digital-Kompass vielfältige Angebote, wie Digitale Lern-Tandems in den eigenen vier Wänden und Beratung durch qualifizierte Engagierte in Treffpunkten vor Ort.

Die BAGSO – Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen e.V. führt gemeinsam mit Deutschland sicher im Netz e.V. den Digital-Kompass durch. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) fördert das Projekt.

Link zur Website: www.digital-kompass.de

Deutsche Rentenversicherung

Knapp 1,4 Mio. Anträge auf medizinische Rehabilitation wurden bei der Rentenversicherung in 2021 gestellt. Knapp 70 % der in 2021 bearbeiteten Anträge wurden bewilligt, 21 % wurden abgelehnt, die restlichen rund 9 % der bearbeiteten Anträge wurden zu einem der anderen Rehabilitationsträger, der für den entsprechenden Fall zuständig ist, weitergeleitet.

Mit etwa 40 % stellen Rehabilitationen der orthopädischen und rheumatischen Indikationen die größte Gruppe in 2021 dar. Zu erkennen ist hier ein leichter Rückgang im Vergleich zum Vorjahr um 2 %. Rehabilitationen der psychosomatischen Indikationen bilden mit 18 % in 2021 und 17 % in 2020 die zweitgrößte Gruppe.

Die Anschlussrehabilitation (AHB) umfasste mit 321.107 Leistungen mehr als ein Drittel aller medizinischen Reha-Leistungen (37 %).

46.648 Menschen erhielten Unterstützung bei einer stufenweisen Wiedereingliederung.

Onkologische Erkrankungen machten in 2020 und 2021 6 % des Spektrums der Indikationen aus. Mit 2 % reiht sich die Pulmologie in den pandemischen Jahren 2020 und 2021 in die
Übersicht ein.

Diese und viele andere interessante Informationen finden sich im Reha-Bericht 2021 der Deutschen Rentenversicherung.

Aus dem Bundestag

In einer Anhörung des Gesundheitsausschusses haben sich Experten mit Anträgen der Opposition zum Umgang mit Cannabis geäußert. Dabei vertraten Sachverständige die Auffassung, dass der Zugang zu Medizinalcannabis vereinfacht werden sollte. Zugleich befürworteten Fachleute eine Entkriminalisierung von Cannabis, allerdings bevorzugt als Übergang hin zu einer umfassenden Legalisierung von Cannabis. Die Sachverständigen äußerten sich am Mittwoch in der Anhörung des Ausschusses sowie in schriftlichen Stellungnahmen.

Die Unionsfraktion fordert in ihrem Antrag (20/5561) eine bessere Versorgung von Patienten mit Cannabisarzneimitteln. Eine Herausforderung seien die hohen administrativen Hürden bei den Genehmigungsverfahren in den gesetzlichen Krankenkassen in Verbindung mit den Begutachtungsverfahren durch den Medizinischen Dienst.

Die Linksfraktion will mit einer Änderung des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) eine Entkriminalisierung von Cannabis erreichen. Die rechtlichen und sozialen Konsequenzen der Kriminalisierung seien für die Betroffenen beträchtlich, heißt es in einem Gesetzentwurf (20/2579) der Fraktion. Die Abgeordneten schlagen vor, Volljährigen den Erwerb und Besitz von bis zu 30 Gramm Cannabis oder Cannabisharz zu erlauben.
Der Verband der Cannabis versorgenden Apotheken (VCA) forderte, den bürokratischen Zugang zu Medizinalcannabis zu vereinfachen. Nur etwa zwei Drittel der Anträge würden positiv beschieden, wobei hierfür in den meisten Fällen ein aufwendiges Widerspruchsverfahren durchlaufen werden müsse. Der VCA forderte zudem die Etablierung der cannabisbasierten Medizin in der medizinischen und pharmazeutischen Ausbildung, um fundierte Kenntnisse zu vermitteln und die Patientenversorgung zu verbessern.

Auch Johannes Horlemann von der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin ging im Ausschuss auf die fehlende Sachkenntnis unter Ärzten ein. Viele Patienten blieben von einer Cannabis-Therapie ausgeschlossen, weil ihr Arzt das nicht verordnen wolle oder sich damit nicht auskenne.
Der Strafrechtler und Kriminologe Robin Hofmann von der Universität Maastricht in den Niederlanden ging auf den Gesetzentwurf der Linksfraktion ein und erklärte, der Entwurf sei hinsichtlich der Legalisierung des Besitzes von 30 Gramm Cannabis zu Genusszwecken weder völker- noch europarechtskonform. Eine Reduzierung des Schwarzmarktes für Cannabis sei durch die Entkriminalisierung nicht zu erwarten. Eine konsequente Legalisierung sei einer Entkriminalisierung vorzuziehen.

Der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) unterstützt im Grundsatz die Entkriminalisierung von Cannabis, hält den Antrag der Linksfraktion aber für zu vage. Der BDK forderte für den Fall einer Legalisierung, den gesamten Herstellungs- und Vertriebsprozess zu legalisieren und zu kontrollieren. Dass durch eine wie immer organisierte Abgabe von Cannabis der Schwarzmarkt ausgetrocknet werden könnte, bezweifelt der BDK, wie in der Anhörung deutlich wurde. Dealer könnten ihre Drogen vermutlich immer billiger anbieten als offizielle Abgabestellen.

Der Deutsche Hanfverband (DHV) sprach sich für eine Entkriminalisierung aus und argumentierte, jedes Jahr gebe es rund 180.000 Strafverfahren wegen konsumbezogener Cannabisdelikte, mehr als 80 Prozent richteten sich gegen Konsumenten. Im Ausschuss schilderte ein DHV-Sprecher, dass ein solches Strafverfahren keine Kleinigkeit sei, sondern unter Umständen verbunden mit Hausdurchsuchungen, Telefonüberwachung und einer erniedrigenden Leibesvisitation.

hib – heute im bundestag | Nr. 200 | Mittwoch, 15. März 2023

Aus dem Bundestag

Es wurden vom Gemeinsamen Bundesausschuss Regelungen beschlossen, die keine zusätzlichen Anforderungen an die Verordnung von medizinischem Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten stellen, die über die gesetzlich zwingenden und für den G-BA verbindlichen gesetzlichen Verordnungsvoraussetzungen hinausgehen. Damit soll die Patientenversorgung mit dieser zusätzlichen Therapieoption bei schweren Erkrankungen im Bedarfsfall sicherstellen. Die gefundenen Regelungen für die Verordnung von medizinischem Cannabis schöpfen den vom Gesetzgeber in § 31 Absatz 6 SGB V dem G-BA gegebenen Handlungsrahmen voll aus und sind ein fachlich ausgewogener und in der Versorgungspraxis sehr gut gangbarer Weg, um eine gute und rechtssichere Versorgung von Patientinnen und Patienten mit einer schwerwiegenden Erkrankung sicherzustellen. ….

Nur die Erstverordnung von Cannabis sowie ein grundlegender Therapiewechsel bedürfen der Genehmigung durch die Krankenkassen. …..
Die Erstgenehmigung darf von den Krankenkassen nur in begründeten Ausnahmefällen versagt werden. …..

Link zur G-BA-Pressemitteilung: www.g-ba.de

raul.de

Wissenschaft hat einen großen Einfluss darauf, welche politischen Entscheidungen getroffen werden, die eine Gesellschaft prägen. Umgekehrt kann auch Politik direkten Einfluss nehmen, welche Bereiche erforscht und wie sie erforscht werden. Noch immer herrscht hierbei ein großer Missstand, der sich negativ auf die Lebensrealitäten behinderter Menschen auswirkt. Denn weder wird in wissenschaftlichen Studien ausreichend eine behinderte Perspektive mitberücksichtigt, z.B. indem behinderte Menschen an Forschungsprozessen beteiligt werden, noch setzt sich die Politik genügend dafür ein, behinderten Menschen Zugang zu Bildung und Forschung zu ermöglichen und gesellschaftliche Barrieren zu untersuchen, die Teilhabe verhindern.

Ein Offener Brief zum Thema: www.raul.de

Bildungswerk ver.di in Niedersachsen e.V.

Arbeits- und Gesundheitsschutz ist eine der zentralen Themen gewählter Interessenvertretungen. Ob es um Unfallverhütung, psychische Belastungen oder die Hilfe für suchtkranke Kollege*innen geht, Interessenvertretungen müssen kompetent geschult sein, um sich für sichere und gesunde Arbeitsbedingungen einsetzen zu können.

Kompetenzerwerb

  • Krankmachende Belastungen und Gefahren am Arbeitsplatz
  • Gesetze und Mitbestimmungsmöglichkeiten im Arbeits- und Gesundheitsschutz
  • Gesetze im Arbeits- und Gesundheitsschutz in ihrer Mitbestimmungsfunktion sicher anwenden
  • Regelungen für Betriebs- und Dienstvereinbarungen (BEM)
  • Rechtsgrundlagen, Eckpunkte, Qualitätskriterien, Standards und Ansprüche an eine Vereinbarung
  • Bestehende Vereinbarungen an weitere Anforderungen anpassen
  • Sicheres Auftreten in sensiblen Gesprächssituationen

Alle Infos & Anmeldung unter www.bw-verdi.de

ver.di-Forum Nord & Bildungswerk ver.di in Niedersachsen

Bereits zum 12. Mal findet unsere SBV-Fachtagung mit den Schwerpunkten: „Arbeitsrecht, Sozialrecht, rechtliche Entwicklung im SGB IX und Bundesteilhabegesetz für die Alltagsarbeit der SBV und die betrieblichen Interessenvertretungen statt.

Auch in diesem Jahr haben wir Expert*innen des Arbeits- und Sozialrechts als Referentinnen und Referenten gewinnen können, die für die Arbeit der SBV und der betrieblichen Interessenvertretungen erforderliche Kenntnisse vermitteln.

In Vorträgen, Diskussionen und Workshops werden die speziellen Probleme der SBV thematisiert, gemeinsam bearbeitet und vertieft.
Wir freuen uns auf eine interessante Fachtagung, spannende Redebeiträge und vor allem angeregte Diskussionen.

9. - 11. Mai 2023 | H4 Hotel Berlin Alexanderplatz, Karl-Liebknecht-Str. 32, 10178 Berlin
Alle Infos und Anmeldung unter www.verdi-forum.de

Bildungswerk ver.di in Niedersachsen

In dieser Tagung werden verschiedene Themen beleuchtet, die den Fokus auf Frauen im Arbeitsleben richten. Sowohl Fragen nach (erzwungener) Teilzeit in vielen Branchen und die Folgen für weitere Lebensabschnitte als auch Fragen nach guten Arbeitsbedingungen wird nachgegangen. Dabei wird der Blick auch auf die Zusammenarbeit mit Akteurinnen aus anderen Berufsgruppen gerichtet, die sich mit der Verbesserung von beruflichen Rahmenbedingungen beschäftigen.

Expertinnen aus der Arbeitswelt stellen ihre Themen nach aktuellem Forschungsstand und Rechtslage vor und zeigen konkrete Handlungsmöglichkeiten für Interessenvertretungen auf. Im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit können Frauen durch das neuerworbene Wissen für ihre Kolleginnen vor Ort starke Weichen stellen.

5. - 7. Juni 2023 | Veranstaltungszentrum Rotation, Goseriede 10, 30159 Hannover
Alle Infos und Anmeldung unter www.bw-verdi.de

ver.di-Forum Nord & Bildungswerk ver.di in Niedersachsen

Diese Arbeitsrechtskonferenz ist für die SBVen mit dem besonderen Blickpunkt auf das kirchliche Arbeitsrecht konzipiert, da für die SBVen der Kirchen weltliches Recht und Kirchenrecht unterschiedlich Anwendung finden.

Wir blicken darauf, was sich aus der aktuellen Rechtsprechung im Arbeitsrecht für die Arbeit der SBV-Kirche ableiten lässt.
In dieser Fachtagung werden für die Arbeit der SBV im kirchlichen Arbeitsrecht erforderliche Themen erarbeitet und erläutert. Unsere Expertinnen und Experten erarbeiten die Themen gemeinsam mit den Tagungsteilnehmenden in Vorträgen und vertiefenden inhaltlichen Fachforen mit Blick auf die tägliche Praxis.

13. - 14. September 2023 | H4 Hotel Hamburg Bergedorf, Holzhude 2, 21029 Hamburg
Alle Infos und Anmeldung unter www.verdi-forum.de

Anmeldung für den SBV InfoBrief

Wenn Sie gerne in den Verteiler für den SBV InfoBrief aufgenommen werden möchten,
schreiben Sie uns einfach eine kurze Nachricht:

sbv@bw-verdi.de
Betreff: Abo SBV InfoBrief

Bildungswerk der Vereinten Dienst­leis­tungs­ge­werk­schaft (ver.di) in Niedersachsen e.V.

Koordinationsbüro für
Betriebs- und Personalräte­seminare

Goseriede 10 (Haus B 1.OG) | 30159 Hannover
 0511 12400-400
 0511 12400-420 
  br@bw-verdi.de