Liebe Kolleginnen und Kollegen ……
……. die letzten Wochen war viel los in Deutschland! Die Kolleginnen und Kollegen der GDL haben mal wieder die Züge stehen lassen. Der Vorteil: Keine Bahn-Verspätungen während dieser Zeit! Tausende Bauern haben Straßen und ganze Innenstädte blockiert! Da überlegte es sich Herr Lindner über Nacht ganz schnell, dass man es mit dem Subventionsabbau doch nicht so ganz ernst gemeint hatte und kündigte Mäßigung an. Was mich zu der Idee brachte: wenn wir die Inklusion in Deutschland voranbringen wollen, brauchen wir Traktoren, sehr viele Traktoren mit sehr lauten Hupen! Das schafft Aufmerksamkeit und man muss sich offensichtlich auch nicht so sehr um Demonstrationsauflagen kümmern.
Hunderttausende Menschen sind in den vergangenen Wochen (wohl ausgelöst durch die Recherchen von Corrective) für Toleranz und gegen Rechtsextremismus auf die Straßen und Plätze gezogen! Weiter so! Die AfD biedert sich gern als Partei der Arbeitnehmer*innen an, aber sie bietet keine Lösungen für die großen Herausforderungen dieser Zeit. Und sie tut dies schon gar nicht für die Interessen von behinderten Menschen und der notwendigen Umsetzung der Inklusion in unserem Land!
Toleranz ist die Nächstenliebe der Intelligenz
(Jules Lemaître 1853 - 1914 / französischer Schriftsteller)
„Rock gegen Rechts“ gibt es seit den 1990er Jahren, berichtet kobinet-nachrichten.org. Vorneweg mit dabei Udo Lindenberg vom Panikorchester. In den 2010er Jahren sind „Omas gegen Rechts“ hinzugestoßen. „Behinderte gegen Rechts“ seien, man gewähre ihnen solch Bitten, in diesem Bunde die Dritten. Denn wenn spätestens jetzt bei aufrechten Demokrat*innen die Alarmglocken schrillen, so tun sie es um etliche Dezibel heftiger bei denjenigen unter ihnen, die „traditionell“ eine Zielgruppe rechter und faschistischer „Sonderbehandlung“ seien, so Hans-Willi Weis.
Der ver.di-Landesbezirksvorstand Niedersachsen-Bremen hat kürzlich eine wichtige Resolution verabschiedet: Demokratie stärken! Nie wieder ist jetzt! Marcel Fritscher (DIW) beschreibt zeitlich und anlassbezogen passend das AfD-Paradox: Die Hauptleidtragenden der AfD-Politik wären demnach ihre eigenen Wähler*innen! Und Campact liefert Argumente gegen zehn verbreitete antisemitische Aussagen.
Ich staune immer wieder! Ein Durchschnittshaushalt verfügt hierzulande (nach Abzug der Schulden) über ein Gesamtvermögen von 316.000 Euro. Deutschland ist ein reiches Land, so wird uns suggeriert. Das stimmt auch. Die Frage ist allerdings, wem der Reichtum gehört! Vermögen sind in Deutschland sehr ungleich verteilt, die untere Hälfte in der Vermögensverteilung besitzt nur ein Prozent der Vermögen. Wenn über Subventionsabbau und Finanzierung von Zukunftsprojekten diskutiert wird, scheint dieser Aspekt überhaupt keine Bedeutung zu haben. Und dann wundern sich noch einige, warum das Vertrauen in das System schwindet, wo doch der gemeinsame Nenner der rechten Sympathisanten die Krisenangst ist!
Über einige interessante und wichtige Urteile gilt es in dieser Ausgabe zu berichten. Da hat das Bundesarbeitsgericht die Frage nach der Pflicht des öffentlichen Arbeitgebers zur Einladung schwerbehinderter Menschen zu einem Vorstellungsgespräch beantwortet. Zugleich ist das Gericht in derselben Sache auch auf die Frage nach einer mutmaßlichen Diskriminierung nach § 15 AGG eingegangen. Die Urteilsbegründung liefert anregenden Stoff für das Vorgehen der SBVen und für die Beratung schwerbehinderter Menschen.
In einem weiteren Verfahren ging es um den Beweiswert von (Folge-)Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nach Zugang einer Kündigung.
Das Landessozialgericht Niedersachsen hat entschieden, dass eine Tätigkeit als Abgeordneter keine Berufstätigkeit darstelle und die BA deswegen keine Assistenz zu finanzieren habe. Begehrte Leistungen seien parlamentsrechtlich zu regeln.
Das BAG-Urteil, nachdem eine kirchliche Körperschaft des öffentlichen Rechts nicht zur Einladung schwerbehinderter Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch verpflichtet ist, verstärkt noch einmal die gewerkschaftliche Sichtweise, dass sich das kirchliche Sonderarbeitsrecht längst überlebt hat. Womit auch die Notwendigkeit, die Online-Petition »Gleiches Recht für kirchlich Beschäftigte« zu unterstützen noch einmal umso deutlicher geworden ist!
Jedes Jahr am 27. Januar, gibt es den Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus und der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen legt am Gedenk- und Informationsort für die Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Morde bzw. am Mahnmal an der Tiergartenstraße 4 (daher Aktion T4) in Berlin einen Kranz nieder. In der Öffentlichkeit wurde Ende letzten Jahres bekannt, dass auf dem Pirnaer Sonnenstein neue, luxuriöse Wohnungen geplant sind. Allerdings ist der aktuelle Standort sensibel. Es handelt sich um eine frühere Scheune, die 1940 zur Garage der berüchtigten grauen Busse zur Tötung von mindestens 15.000 behinderten, psychisch beeinträchtigten und unliebsamen Menschen umgebaut wurde, gleich neben der heutigen Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein. Hier wurde von den Nationalsozialisten die industriell betriebene Tötung von Menschen entwickelt und vorangetrieben. Jetzt sind die Denkmalschützer aufmerksam geworden ……..
Ich wünsche eine interessante Lektüre und bitte dran denken: Nie wieder ist jetzt!
Jürgen Bauch
Lese-Tipp
In einem interessanten Fachartikel schreibt Rechtsanwalt Thorsten Blaufelder über die gesetzlichen Grundlagen und die besondere Bedeutung des Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) als eine Säule des Betrieblichen Gesundheitsmanagements. Er schildert den Ablauf vom Erstkontakt über mögliche Vereinbarungen von Maßnahmen bis zur Beendigung des Prozesses.
Der Artikel steht auf der Website von Thorsten Blaufelder als PDF zum Download zur Verfügung: www.thorsten-blaufelder.de/fachartikel
ver.di-Forum Nord und Bildungswerk ver.di in Niedersachsen
Bereits zum 13. Mal findet unsere SBV-Fachtagung mit den Schwerpunkten: „Arbeitsrecht, Sozialrecht, rechtliche Entwicklung im SGB IX und Bundesteilhabegesetz für die Alltagsarbeit der SBV und die betrieblichen Interessenvertretungen“ statt.
Auch in diesem Jahr haben wir Expert*Innen des Arbeits- und Sozialrechts als Referentinnen und Referenten gewinnen können, die für die Arbeit der SBV und der betrieblichen Interessenvertretungen erforderliche Kenntnisse vermitteln.
In Vorträgen, Diskussionen und Workshops werden die speziellen Probleme der SBV thematisiert, gemeinsam bearbeitet und vertieft. Ein Schwerpunkt der Tagung wird der aktuelle Stand der politischen Entwicklungen rund um das Thema Inklusion sein. Wir freuen uns auf eine interessante Fachtagung, spannende Redebeiträge und vor allem angeregte Diskussionen.
Genaue Informationen und Anmeldung: www.verdi-forum.de
Recht
Die 5. Kammer am Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern entschied am 05.12.2023 in einem Verfahren (5 Sa 3/23) um die Zahlung einer Entschädigung aus Gründen einer Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung, anknüpfend an die Pflicht des öffentlichen Arbeitgebers zur Einladung zu einem Vorstellungsgespräch.
Leitsätze:
- Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, begründet regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der (Schwer)Behinderung. Das gilt auch für einen Verstoß des öffentlichen Arbeitgebers gegen die in § 165 Satz 3 SGB IX geregelte Pflicht zur Einladung eines schwerbehinderten oder diesem gleichgestellten Bewerbers zu einem Vorstellungsgespräch.
- Die Widerlegung der aus einem Verstoß gegen § 165 Satz 3 SGB IX folgenden Vermutung setzt den Nachweis voraus, dass die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch aufgrund von Umständen unterblieben ist, die weder einen Bezug zur Behinderung aufweisen noch die fehlende fachliche Eignung des Bewerbers bzw. der Bewerberin berühren.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund (Kammern Neubrandenburg) vom 24.11.2022 – 13 Ca 149/21 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen. Die Revision wird nicht zugelassen.
Link zum Urteil: www.landesrecht-mv.de
Aus dem Bundestag
Im Jahr 2022 sind rund 130 Millionen Krankheitstage von Beschäftigten auf psychische Belastungen zurückzuführen. Das geht aus einer Antwort (20/9929) der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage (20/9623) der inzwischen aufgelösten Linksfraktion hervor. Frauen sind demnach deutlich stärker betroffen, denn auf sie entfielen 77 Millionen und auf Männer 53 Millionen Arbeitsunfähigkeitstage, wie Daten der gesetzlichen Krankenversicherung ergeben. Der Anteil an allen Diagnosen lag bei Frauen damit bei rund 19 und bei Männern bei rund 13 Prozent.
hib – heute im bundestag | Nr. 4 | Freitag, 5. Januar 2024
Meine Meinung
(jb) 2 Millionen Euro für den Bau von 20 Förderstättenplätze in Niederbayern, 5 Millionen Euro für eine kirchliche Jugendfürsorge, 655.000 Euro für den Erweiterungsbau einer Förderstätte in Schwaben, 10,6 Millionen Euro für 240 Werkstattplätze für Menschen mit Behinderung ebenfalls in Niederbayern, 5,5 Millionen Euro für Werkstatt und Förderstätte und 1,2 Millionen Euro für Werkstattplätze für Menschen mit Behinderung in Schwaben, ……… so lauteten jeweils im Dezember und Januar die Pressemeldungen aus dem bayerischen Sozialministerium. Und man spürte beim Lesen förmlich den Stolz, das geschafft zu haben. Geschlafen haben sie jedenfalls nicht in Bayern, nachdem der Bundesrat eine Übergangsfrist für bis Jahresende 2023 beantragte Projekte gegen den Willen des Bundestages beschlossen hatte.
Die Bayerische Staatszeitung titelte am 12. Januar, dass es künftig eine „Erschwerte Förderung von Werkstätten“ gebe, weil ab dem 1. Januar 2024 nicht mehr die Möglichkeit gibt, aus Mitteln der Ausgleichsabgabe die sogenannten Einrichtungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu finanzieren.
Weil das nun nicht mehr möglich sei, so Franz Löffler, Präsident des Bayerischen Bezirketages, stelle das die Werkstätten vor große finanzielle Probleme. Dem ist zuzustimmen, aber die Tatsache, dass den Integrationsämtern Mittel fehlen, genügend Stellen zu finanzieren, um ausreichend Beratung zu leisten und behinderungsgerechte Arbeitsplätze einzurichten, erwähnt Herr Löffler in diesem Zusammenhang nicht.
Auf die Kritik an der Gesetzesänderung antwortete Anette Kramme, SPD-Bundestagsabgeordnete aus Bayreuth und Parlamentarische Staatssekretärin im BMAS: „Die Fokussierung der Mittel der Ausgleichsabgabe auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ist konsequent und richtig“. Die Ausgleichsabgabe habe unter anderem die Funktion, die Belastungen zwischen Arbeitgebern, die ihre Beschäftigungspflicht erfüllen, und denen, die ihr nicht nachkommen, auszugleichen. „Dementsprechend ist es konsequent, dass die von den Arbeitgebern gezahlte Ausgleichsabgabe auch in den allgemeinen Arbeitsmarkt zurückfließt“, sagt die Parlamentarische Staatssekretärin. Das sei auch inklusionspolitisch richtig, „da die Regelung dem Ziel der Bundesregierung dient, mehr Menschen mit Behinderungen in reguläre Beschäftigungsverhältnisse auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu bringen“.
Nun müssen die Länder schauen, dass sie die WfbM ausschließlich mittels Steuergeld auskömmlich finanzieren. Was mir als sehr sinnvoll und gerecht erscheint. Vielleicht ist die neue Situation auch ein Treibmittel dafür, dass die Länder ihre meist miserablen Beschäftigungsquoten verbessern? Denn jeder unbesetzte Platz in einer WfbM entlastet den jeweiligen Länderhaushalt!
Bei der Analyse der Übergänge von der WfbM auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zeigt sich lt. Abschlussbericht der „Studie zu einem transparenten, nachhaltigen und zukunftsfähigen Entgeltsystem für Menschen mit Behinderungen in Werkstätten für behinderte Menschen und deren Perspektiven auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt“, dass die Quote der Übergänge im Zeitraum 2015 bis 2019 von 0,26 Prozent auf 0,35 Prozent nur leicht gestiegen ist.
Sollte die Übergangsquote auf den regulären Arbeitsmarkt dereinst wesentlich höher als derzeit liegen, könnte man über ein teilweises Zurück zur alten Regelung diskutieren ……….
Nun heißt es aber auch gleichzeitig, genau hinzuschauen, ob und wie die Mittel aus der Ausgleichsabgabe eingesetzt werden!
Aus dem Bundestag
Die Zahl der betrieblichen Arbeitsunfälle, bei denen in der Folge Kosten für Rehabilitationsleistungen entstanden sind, hat im Jahr 2022 bei rund zwei Millionen gelegen. Männer waren fast doppelt so oft betroffen wie Frauen. Das geht aus einer Antwort (20/9887) der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage (20/9515) der inzwischen aufgelösten Fraktion Die Linke hervor. Die Zahl der entschädigten betrieblichen Arbeitsunfälle lag demnach bei rund 442.000.
hib – heute im bundestag | Nr. 4 | Freitag, 5. Januar 2024
journalistinnenbund e. V.
Immer wieder heißt es, der Genderstern sei nicht barrierefrei und Gendern würde Menschen mit Behinderung ausschließen. Stimmt das? Wie entstehen Barrieren und wie können wir sie vermeiden? Wie können wir so schreiben, dass möglichst viele Menschen teilhaben?
Um die Frage nach Barrierefreiheit zu beantworten, müssen wir untersuchen, wie Barrieren in der Sprache entstehen. Die Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik (bfit) formuliert drei Grundprinzipien:
- Wahrnehmbarkeit: lesbar, hörbar, fühlbar, sichtbar,
- Verständlichkeit: eindeutig und passend zum Kontext,
- Reproduzierbarkeit: einfach zu erzeugen.
Der ganze Artikel ist auf www.genderleicht.de zu lesen.
Recht
Neben der Neuordnung bei der Ausgleichsabgabe, sind noch einige andere Änderungen in Kraft getreten.
Zum 1. Januar 2024 wird eine Genehmigungsfiktion für Anspruchsleistungen des Integrationsamtes (Arbeitsassistenz und Berufsbegleitung im Rahmen der Unterstützten Beschäftigung) eingeführt. Wenn das Integrationsamt nicht innerhalb von sechs Wochen nach Eingang des Antrags über diesen entscheidet, gilt der Antrag als genehmigt.
Beim Wechsel von der Werkstatt für behinderte Menschen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt erfolgt ab dem 1. Januar 2024 eine automatische Mehrfachanrechnung auf mindestens zwei Pflichtarbeitsplätze, eine bisher benötigte Einzelfallentscheidung der Bundesagentur für Arbeit entfällt. Gleiches gilt auch in den ersten zwei Jahren, in denen jemand ein Budget für Arbeit erhält.
Die Mittel der Ausgleichsabgabe dürfen ab dem 1. Januar 2024 zudem nur noch zur Förderung der Teilhabe schwerbehinderte Menschen am Arbeitsleben verwendet werden. Eine nachrangige Mittelverwendung zur institutionellen Förderung – insbesondere von Werkstätten für behinderte Menschen – ist nicht mehr möglich.
Quelle: www.bmas.de
ver.di Wirtschaftspolitik aktuell
Um Haushaltslücken zu schließen, schreckt die Ampel-Regierung vor Sozialkürzungen nicht zurück. Die gesetzliche Rentenversicherung erhält 600 Mio. Euro im Jahr weniger Zuschuss. Damit sollen einmal mehr die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler zum Stopfen von Haushaltslöchern herangezogen werden.
Auch beim Bürgergeld will die Ampel kürzen: Den gerade eingeführten Bürgergeldbonus für die Teilnahme an Weiterbildungen will sie wieder streichen. Und Sanktionen, die die Ampel gerade erst reduziert hatte, weitet sie nun wieder aus. Angeblichen oder tatsächlichen „Totalverweigerern“ soll das Bürgergeld für zwei Monate komplett gestrichen werden. Das soll 150 Millionen Euro bringen. Was aber Phantasiezahlen sind – die tatsächlichen Einsparungen dürften viel geringer sein. Ansteigen allerdings wird der Druck auf Erwerbslose und Beschäftigte, fast jeden noch so schlechten Job zu akzeptieren.
Auf der anderen Seite werden die Reichen verschont – etwa bei steuerlichen Betriebsprüfungen. Sie brachten 2022 immerhin 10,8 Mrd. Euro Mehreinnahmen. Geprüft wurden aber gerade mal 1,8 Prozent der Betriebe und 17,5 Prozent der Großunternehmen. Auch die über 15.000 Einkommensmillionäre werden viel zu selten geprüft, im Durchschnitt nur alle 17 Jahre. Dabei bringt das je Prüfung über 100.000 Euro!
Quelle: wipo.verdi.de
Bundesagentur für Arbeit
Die Arbeitslosenquote schwerbehinderter (und ihnen gleichgestellter) Menschen (auf Basis einer eingeschränkten Bezugsgröße) lag 2022 bei 10,8 %. Sie ist deutlich höher als eine entsprechend berechnete personengruppenübergreifende Referenzquote (2022: 6,4 %).
Mit einer Quote von zuletzt 12,3 % sind schwerbehinderte Menschen in Ostdeutschland noch stärker von Arbeitslosigkeit betroffen als schwerbehinderte Menschen in Westdeutschland (Quote 2022: 10,5 %).
Mit 166.810 arbeitslos gemeldeten schwerbehinderten Menschen bleibt die Arbeitslosigkeit dieses Personenkreises anhaltend hoch. Im Vergleich zum Vorjahr ist diese um fast 7.000 angestiegen. Im Dezember 2022 wurden 159.884 schwerbehinderte Arbeitslose gemeldet.
Datenquelle, Bericht (PDF), Bundeagentur für Arbeit, Seite 37ff: www.statistik.arbeitsagentur.de
Jürgen Dusel
Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Jürgen Dusel, hat in einem Fernsehinterview kritisiert, dass Tausende von Akademikern mit Beeinträchtigungen keine Arbeit bekommen. „Das hat mit Vorurteilen zu tun“, sagte er im Interview der Deutschen Presse-Agentur. „Wir haben Tausende von Akademikern mit Behinderungen, die keinen Job kriegen in Deutschland.“ Das könne das Land sich überhaupt nicht mehr leisten. „Es gibt keinen Job in Deutschland, ich wüsste wirklich keinen, der nicht durch einen Menschen mit einer schweren Behinderung gut besetzt werden kann, wenn die Voraussetzungen stimmen“, sagte Dusel.
Link zum Interview: www.youtube.com
Tipp
Echte Teilhabe für alle. Davon sind wir leider noch ziemlich weit entfernt. Aber würdest du dich selbst als ableistisch bezeichnen? Wahrscheinlich nicht. Warum es sich trotzdem lohnt, die eigenen Sprach- und Denkmuster zu prüfen und wie wir uns gemeinsam auf den Weg in eine inklusivere Gesellschaft machen können? BRIGITTE hat mit den Autorinnen des Buches „Bist du behindert, oder was?“ Mareice Kaiser und Rebecca Maskos über Barrieren, ableistische Strukturen und sensible Sprache gesprochen.
Das Interview gibt es auf www.brigitte.de
Aus dem Bundestag
Der Kontrolle des Arbeitsschutzes in Wohnungen durch die zuständigen Arbeitsschutzbehörden setzt das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung enge Grenzen. Ein Zutrittsrecht der Behörden zu Wohnungen besteht grundsätzlich nur zur Abwehr drohender Gefahren. Das betont die Bundesregierung in ihrer Antwort (20/9982) auf eine Kleine Anfrage (20/9573) der inzwischen aufgelösten Linksfraktion.
Die behördlichen Kontrollmöglichkeiten beschränkten sich daher auf die Dokumentation des Arbeitgebers zu den Ergebnissen der Gefährdungsbeurteilung für die im Homeoffice erledigten Tätigkeiten. Hierbei sei der Arbeitgeber auf die Unterstützung der Beschäftigten insbesondere durch Erteilung von Auskünften zu den Arbeitsbedingungen in den jeweiligen Wohnungen angewiesen, heißt es in der Antwort weiter.
hib – heute im bundestag | Nr. 10 | Mittwoch, 10. Januar 2024
Aus dem Bundesrat
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am Freitag, 15.12.2023 Verbesserungen für erwerbsgeminderte Menschen beschlossen. Gesetzlich geregelt ist nunmehr, dass Personen, die Erwerbsminderungsrente beziehen, für einen Zeitraum von sechs Monaten ihre Leistungsfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt erproben können, ohne hierdurch den Rentenanspruch zu gefährden. Brigitte Gross, Direktorin der Deutschen Rentenversicherung Bund, erklärt hierzu:
„Die Entscheidung des Gesetzgebers, eine modellhaft bereits erprobte Praxis explizit im Gesetz zu regeln, wird von der Deutschen Rentenversicherung ausdrücklich begrüßt. Für Rentenbeziehende wird mit der Regelung Rechts- und Planungssicherheit geschaffen, wenn sie eine Erwerbstätigkeit aufnehmen oder eine bereits bestehende Erwerbstätigkeit ausweiten. Mit der Regelung kann der Weg vom Bezug einer Erwerbsminderungsrente in eine Beschäftigung erleichtert werden. Dies trägt dazu bei, den Betroffenen die Teilhabe am Arbeitsleben und die Erzielung von Erwerbseinkommen zu ermöglichen sowie dringend benötigte Fach- und Arbeitskräfte zu sichern.“
Lese-Tipp
Klappentext: Ableis… Was? «Ableismus» – ein Begriff, der oft mehr Fragen aufwirft, als er Antworten liefert. Dabei definiert er etwas ganz Entscheidendes: die Diskriminierung von Personen, basierend auf weitverbreiteten Stereotypen und Vorurteilen rund um Behinderung. Diese ist der Grund, warum auch heute noch nicht alle Menschen gleichberechtigt am Leben teilhaben können. Noch immer verhindern Berührungsängste einen Dialog über Ableismus. So bleiben nahezu 15 Prozent der globalen Bevölkerung von der Gesellschaft ausgeschlossen. Ohne erhobenen Zeigefinger, mit einfachen Erklärungen und anhand anschaulicher Beispiele legt dieses praxisorientierte Handbuch Barrieren und Ausschlussmechanismen der Dominanzgesellschaft offen. Es bietet damit den idealen Ausgangspunkt, um die eigenen Privilegien als nicht behinderte Person zu erkennen, zu hinterfragen und Diskriminierung und Barrieren ein für alle Mal abzubauen.
Die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen ist der Grund, warum auch heute noch nicht alle Menschen gleichberechtigt am Leben teilhaben können. Noch immer verhindern Berührungsängste einen Dialog über Ableismus. So bleiben nahezu 15 Prozent der globalen Bevölkerung von der Gesellschaft ausgeschlossen. Ohne erhobenen Zeigefinger, mit einfachen Erklärungen und anhand anschaulicher Beispiele legt dieses praxisorientierte Handbuch Barrieren und Ausschlussmechanismen der Dominanzgesellschaft offen. Es bietet damit den idealen Ausgangspunkt, um die eigenen Privilegien als nicht behinderte Person zu erkennen, zu hinterfragen und Diskriminierung und Barrieren ein für alle Mal abzubauen.
Link zum Buch: www.stopptableismus.de
Recht
Bescheinigt der Arzt, dass ein*e Beschäftigte*r aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeiten kann, hat das einen hohen Beweiswert.
Der Beweiswert von (Folge-)Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen kann erschüttert sein, wenn der arbeitsunfähige Arbeitnehmer nach Zugang der Kündigung eine oder mehrere Folgebescheinigungen vorlegt, die passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfassen, und er unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufnimmt.
Pressemitteilung, Bundesarbeitsgericht vom 13.12.2023, 5 AZR 137/23
Kommentar zum Urteil auf verdi-bub.de
Recht
Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) hat entschieden, dass Abgeordnete keinen Rechtsanspruch auf Arbeitsassistenz haben, auch wenn sie als Rollstuhlfahrer unstreitig Hilfe bei der Arbeit benötigen.
Zugrunde lag das Eilverfahren eines Bremers, der bis zur Mitte des vergangenen Jahres bei einem privaten Verein angestellt war. Für seine dortige Tätigkeit erhielt er als Rollstuhlfahrer eine Arbeitsassistenz von der Bundesagentur für Arbeit (BA). Danach wurde er Abgeordneter der bremischen Bürgerschaft.
In der Folge lehnte die BA die Förderung der Arbeitsassistenz ab, da die Tätigkeit als Abgeordneter weder ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis, noch eine selbständige Tätigkeit sei - und damit kein „Arbeitsplatz" im Rechtssinne. Nur hierfür gäbe es aber eine Förderung.
Hiergegen wandte sich der Mann mit einem gerichtlichen Eilantrag. Er verwies auf seinen unstreitigen Unterstützungsbedarf und meinte, dass er entweder als Beschäftigter gelten könne, da er eine Abgeordnetenentschädigung erhalte, oder als Selbständiger, da er nur seinem Gewissen unterworfen sei.
Das LSG hat die Rechtsauffassung der BA bestätigt. Die Tätigkeit als Abgeordneter sei aufgrund ihrer statusrechtlichen Besonderheiten nicht als Arbeits- oder Berufstätigkeit zu qualifizieren. Dementsprechend sei die Abgeordnetenentschädigung kein Arbeitseinkommen. Ein Abgeordneter sei vom Vertrauen der Wähler berufen und schulde keine Dienste. Die Mandatszeit bedeute meistens eine vorübergehende Unterbrechung des Berufslebens, da sie regelhaft einen atypischen Abschnitt außerhalb der bisherigen und künftigen Berufslaufbahn darstelle. Insgesamt seien die begehrten Leistungen nicht im Leistungssystem der Teilhabe am Arbeitsleben zu erbringen, sondern parlaments- bzw. abgeordnetenrechtlich zu regeln.
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 3. Januar 2024, L 11 AL 67/23 B ER
G-BA
Die Zahl der für eine Zweitmeinung zur Verfügung stehenden Ärztinnen und Ärzte wächst kontinuierlich an. Dies zeigt der Bericht zur Zahl der Ärztinnen und Ärzte, die bei den Kassenärztlichen Vereinigungen im Jahr 2022 eine entsprechende Genehmigung erhalten haben. Besonders viele dieser Expertinnen und Experten stehen zum Thema Schulterarthroskopie (512) und zu Implantationen von Knieendoprothesen (443) bereit. Erheblich stieg die Zahl der Zweitmeinungsgebenden zu Wirbelsäuleneingriffen an. Sie hat sich allein im zweiten Jahr des Bestehens dieses Verfahrens versechsfacht. Bezogen auf alle planbaren Eingriffe, für die es ein Zweitmeinungsverfahren gibt, verteilen sich die registrierten Ärztinnen und Ärzte im Jahr 2022 folgendermaßen:
- Schulterarthroskopie: 512 (Vorjahr 451)
- Implantationen einer Knieendoprothese: 443 (Vorjahr 341)
- Hysterektomie (Gebärmutterentfernung): 417 (Vorjahr 426)
- Eingriffe an der Wirbelsäule: 302 (Vorjahr 50)
- Tonsillektomie (Mandeloperation): 252 (Vorjahr 245)
- Amputation beim diabetischen Fußsyndrom: 106 (Vorjahr 63)
- Herzkatheteruntersuchungen und Ablationen am Herzen: 62 (in 2022 neu)
- Implantation Herzschrittmacher, Defibrillator oder CRT-Aggregat: 82 (in 2022 neu)
Berichte wie diesen erstellt die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) jährlich für den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). Sie zeigt darin, wie viele Anträge auf eine Genehmigung als Zweitmeiner gestellt, genehmigt und abgelehnt wurden. Dabei wird nach Vertrags-, Krankenhaus- und Privatärztinnen und -ärzten differenziert.
Quelle: www.g-ba.de
Recht
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) gilt auch für schwerbehinderte oder gleichgestellte Praktikanten, die für ein Berufspraktikum im Sinn von § 26 BBiG eingestellt werden. Jedoch führt ein laufender Gleichstellungsantrag laut BAG nicht zum Eingreifen der schützenden Verfahrensvorschriften.
Das BAG stellt sich auf die Seite des Arbeitgebers, hier der Agentur für Arbeit. Diese war, so die Erfurter Richterinnen und Richter, während des laufenden Gleichstellungsverfahrens nicht verpflichtet, im Bewerbungsverfahren die Verfahrensvorschriften zugunsten von schwerbehinderten und diesen gleichgestellten Menschen aus §§ 164 Abs. 1 S. 4, 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX einzuhalten. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Umstand, dass der Gleichstellungsantrag rückwirkend positiv beschieden worden sei.
Zuvor hatte bereits das LAG Nürnberg die Entschädigungsklage zurückgewiesen, da sich aus dem Vortrag des Klägers keine Indizien nach § 22 AGG (Beweislast) ergeben würden, die eine Benachteiligung wegen seiner Behinderung vermuten ließen.
BAG, Urteil vom 16.01.2024 - 8 AZR 212/22
___________________________________
Wie Christian Stichternath, HSBV im Geschäftsbereich des Niedersächsischen MWK, hierzu ergänzend mitteilt, gilt für die Landesverwaltung in Niedersachsen eine weitergehende rechtliche Regelung. Diese umfasst die bei ihr Beschäftigten (Beamte und Angestellte), wenn diese einen Feststellungsantrag auf Gleichstellung oder Schwerbehinderung gestellt und das ihrer Dienststelle bekanntgegeben haben. Die Regelung ergibt sich aus den niedersächsischen Schwerbehindertenrichtlinien, Ziffer 1.2, 2. Absatz:
Beschäftigten, die einen Antrag auf Anerkennung einer Schwerbehinderung oder auf Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen gestellt haben, wird empfohlen, ihre Personalstelle hiervon schriftlich zu unterrichten. Bis zur Entscheidung über den Antrag sind sie unter Vorbehalt als schwerbehinderte oder diesen gleichgestellte behinderte Menschen zu behandeln.
Das würde zudem bei konsequenter rechtlicher Anwendung bedeuten, dass bei diesen Personen mit vorläufigem Schwerbehindertenstatus auch die zuständige SBV bei allen Maßnahmen, die deren Behinderung im Beschäftigungsverhältnis berühren, zu beteiligen wäre. Und das, obwohl § 178 Abs. 2 Satz1 SGB IX dieses nicht vorsieht. Fraglich ist allerdings, ob sich bei Nichteinhaltung der SchwbRl, die den Rechtscharakter eines gemeinsamen Ressorterlasses der Landesregierung haben, eine AGG-Verletzung ergeben könnte. Hier müsste wohl erst ein Gericht im Fall einer konkreten Klage prüfen, ob auch bei einer Verletzung aus weitergehenden Rechten aus Landesrichtlinien und Inklusionsvereinbarungen eine Vermutung einer Ungleichbehandlung nach AGG vorliegen und Schadenersatzansprüchen begründen könnte.
Aus dem Bundestag
Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) ist nach Angaben der Bundesregierung an die Einhaltung der Bestimmungen zur Berücksichtigung der Belange von Menschen mit Behinderung und deren Organisationen gebunden. Die Wahrung der Interessen der schwerbehinderten Menschen sowie ihre Beratung und Unterstützung innerhalb des vzbv stelle die Schwerbehindertenvertretung des Verbandes sicher, heißt es in der Antwort (20/9912) der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage (20/9622) der zwischenzeitlich aufgelösten Linksfraktion.
In den besonderen Nebenbestimmungen des Zuwendungsbescheides für die institutionelle Förderung des vzbv sei geregelt, dass der Verband mit seinem Wirtschaftsplan die Grundzüge des Behindertengleichstellungsgesetzes anwenden solle. Ferner sei der Verband auf die Verordnung zur Schaffung barrierefreier Informationstechnik nach dem Behindertengleichstellungsgesetz hingewiesen worden.
hib – heute im bundestag | Nr. 6 | Montag, 8. Januar 2024
ver.di
Bei der Tagung der Verbändekonsultation am 29. November 2023, an der das zuständige Referat für Teilhabepolitik/Schwerbehindertenvertretungen im Bereich Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik der ver.di teilgenommen hat, wurde von der Monitoring-Stelle der Stand der Umsetzung der der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) in Deutschland erneut dargelegt.
Schon 2015 hat der UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen Deutschland das erste Mal auf die Umsetzung der UN-BRK angemahnt und überprüft. Seither gibt es einige Fortschritte zu verzeichnen. Gute Beispiele sind die verabschiedeten Aktionspläne zur Umsetzung der UN-BRK, die Durchführung eines Disability Survey (Konzept zur Messung von Behinderung) sowie Reformen im Sozialrecht, Gleichstellungsrecht, Betreuungsrecht und Wahlrecht. Die Dynamik der Umsetzung hat jedoch in Bund, Ländern und Kommunen inzwischen deutlich nachgelassen; und in der Abwägung unterschiedlicher politischer Prioritäten hat die Konvention spürbar an Gewicht verloren.
Ein echter Paradigmenwechsel in Politik und Gesellschaft hin zu Inklusion und Selbstbestimmung ist auch 14 Jahre nach Inkrafttreten der UN-BRK nicht festzustellen. Im Gegenteil: In Deutschland besteht weiterhin ein stark ausgebautes System von Sonderstrukturen für Schwerbehinderte und Beeintächtigte – sowohl in der schulischen Bildung und bei der Beschäftigung in Werkstätten als auch in Form von immer noch bestehenden großen stationären Wohneinrichtungen. Dagegen fehlen ambulante und personenzentrierte Unterstützungsangebote, insbesondere für Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen und hohem Unterstützungsbedarf. Ein zielgerichteter Prozess zur Deinstitutionalisierung findet nicht statt.
Es wird zwar viel über Inklusion diskutiert, konsequent in die Tat umgesetzt wird sie nicht. Unterschiedliche Akteure aus Politik und Gesellschaft sehen die von uns kritisierten Sonderstrukturen als normalen Teil eines inklusiven Systems.
Eine angemessene Beteiligung von Menschen mit Behinderungen und ihren Organisationen findet weder auf allen relevanten politischen Ebenen statt noch in allen Zuständigkeitsbereichen. Auf Bundesebene gab es vereinzelt gute Ansätze und neue Formate, etwa der vom Bundesjustizministerium gesteuerte Prozess im Vorfeld der jüngsten Reform des Betreuungsrechts. Als auch die Anfänge der Erarbeitung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) ab 2014. Abseits dieser wenigen Beispiele wird Beteiligung von Menschen mit Behinderungen und ihren Organisationen an allen politischen Prozessen nach den formulierten Maßstäben der Konvention ist weiterhin kaum eingehalten. Sicherlich lässt sich das nicht verallgemeinern, die Bereitschaft, politische Verfahren unter der Beteiligung der Betroffenen zu gestalten, ist unterschiedlich stark ausgeprägt. Es fehlt immer noch ein flächendeckendes Bewusstsein für den Umfang des Beteiligungsgebots der UN-BRK. Stimmen von Selbstvertreter*innen werden nicht prioritär gehört, auch gelingt es ebenfalls nur selten, Menschen mit Behinderungen in ihrer Vielfalt anzusprechen und zu adressieren.
In der Gesamtschau bleibt – wie schon im Parallelbericht zur ersten Staatenprüfung 2015 – festzustellen war, dass der Vertragsstaat Deutschland bei Weitem nicht alles Notwendige und Mögliche unternimmt, um die Konvention umzusetzen. Die verfügbaren Mittel im Sinne von Artikel 4 Absatz 2 UN-BRK wurden und werden nicht ausgeschöpft. Erneut kann leider festgehalten werden, dass in den Berichten des Vertragsstaats im laufenden Prüfverfahren eine selbstkritische und vertiefte Auseinandersetzung mit bestehenden Problemen und Umsetzungsdefiziten fehlt.
Umso mehr bedarf es aktueller, nachdrücklicher Impulse durch den UN-Ausschuss, um der tatsächlichen Umsetzung der Konvention in Deutschland neue Kraft zu verleihen und ihr die richtige Richtung zu geben.
Den kompletten Parallelbericht an den UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderung zum 2./3. Staatenprüfverfahren Deutschlands findet man hier: www.institut-fuer-menschenrechte.de
Recht
Die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 5. November 2021 – 3 Sa 840/20 – wird vom Bundesarbeitsgericht zurückgewiesen.
Leitsatz: Die Pflicht des öffentlichen Arbeitgebers zur Einladung schwerbehinderter Menschen zu einem Vorstellungsgespräch nach § 165 Satz 3 SGB IX beinhaltet auch das Erfordernis einen Ersatztermin anzubieten, wenn der sich bewerbende schwerbehinderte Mensch seine Verhinderung vor der Durchführung des vorgesehenen Termins unter Angabe eines hinreichend gewichtigen Grundes mitteilt und dem Arbeitgeber die Durchführung eines Ersatztermins zumutbar ist.
Für öffentliche Arbeitgeber besteht nach § 165 S. 3 SGB IX die Pflicht, schwerbehinderte Menschen bei einer Bewerbung zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, sofern deren fachliche Eignung nicht schon offensichtlich fehlt. Daraus leitet sich aus Sicht des BAG auch die Pflicht ab, Bewerbern einen Ersatztermin anzubieten, wenn diese unter Angabe eines gewichtigen Grundes eine Verhinderung mitteilen und die Durchführung eines Ersatztermins zumutbar ist.
Das BAG stellt nun klar, dass diese Pflicht allerdings nicht bereits mit dem Anbieten eines einzigen Vorstellungstermins erfüllt ist, wenn:
- Der schwerbehinderte Mensch seine Verhinderung vor der Durchführung des Termins unter Angabe eines hinreichend gewichtigen Grundes mitgeteilt hat und dem Arbeitgeber bei Vornahme einer Gesamtschau das Anbieten eines Ersatztermins in zeitlicher und organisatorischer Hinsicht zumutbar ist.
- Ein hinreichend gewichtiger Grund besteht aus Sicht des BAG bspw. regelmäßig im Falle einer kurzfristigen Erkrankung oder bei Terminkollisionen mit einer bereits gebuchten Urlaubsreise oder einem Arzttermin.
Die Entscheidung des 8. Senats beinhaltet darüber hinaus auch Details zur gleichzeitigen Klageerhebung wegen eines Verstoßes gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG).
Link zur BAG-Pressemitteilung vom 25.01.2024: www.bundesarbeitsgericht.de/presse
Link zum vollständigen Text der Entscheidung: www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung
Aus dem Bundestag
In der 2022 verabschiedeten Resilienzstrategie werden nach Angaben der Bundesregierung explizite Handlungsempfehlungen formuliert, wie Menschen mit Behinderungen aktiv in das Katastrophenrisikomanagement einbezogen werden können. Dabei würden auch andere vulnerable Gruppen berücksichtigt, heißt es in der Antwort (20/9896) der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage (20/9544) der zwischenzeitlich aufgelösten Linksfraktion.
Menschen mit Behinderung seien im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung weniger im ehrenamtlichen Bevölkerungsschutz vertreten. Um diese Gruppe anzusprechen, habe das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) die Kampagne „Egal was du kannst, du kannst helfen“ ins Leben gerufen. Die Kampagne adressiere auch Menschen mit Migrationshintergrund. Wenn mehr Menschen mit Behinderung und Migrationshintergrund im Zivil- und Katastrophenschutz aktiv würden, veränderten sich auch nachhaltig die Strukturen der Organisationen.
hib – heute im bundestag | Nr. 4 | Freitag, 5. Januar 2024
Lese-Tipp
Jährlich am 4. Februar findet seit dem Jahr 2000 unter der Leitung der Internationalen Vereinigung gegen Krebs (Union for International Cancer Control, UICC) der Weltkrebstag statt, an dem sich auch die Stiftung Deutsche Krebshilfe beteiligt. Der Aktionstag zielt darauf ab, die Bevölkerung für die Krebsprävention und -früherkennung zu sensibilisieren sowie auf aktuelle Entwicklungen hinzuweisen. In diesem Jahr steht er, wie in den beiden Jahren zuvor, unter dem Motto „Close the care gap – Versorgungslücken schließen“.
Aus diesem Anlass erscheint die neueste Veröffentlichung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages mit dem Thema Weltkrebstag und nationale Strategien zur Krebsbekämpfung.
VDK
Was bedeutet es, wenn jemand im Betrieb einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt ist? Was sind die Voraussetzung für die Gleichstellung und wo kann man sie beantragen? Und welche Nachteilsausgleiche hat man dadurch?
Dorothee Czennia, Referentin für Behindertenpolitik beim VdK-Bundesverband, klärt kurz und leicht verständlich die wichtigsten Fragen rund um das Thema Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen.
Link zum Video: www.youtube.com
REHADAT
Hilfsmittel können bei einer Behinderung, einer plötzlichen Erkrankung oder einem Unfall eine wertvolle Unterstützung sein. Die Vielfalt an Hilfsmitteln und Technologien bietet eine wichtige Grundlage für die Teilhabe am beruflichen und sozialen Leben. Häufig stellen sich jedoch viele Fragen: Welche Hilfsmittel gibt es? Wen kann man ansprechen? Wer finanziert Hilfsmittel für den Alltag oder Beruf?
Zunächst gehen wir im Seminar auf die Hilfsmittelversorgung durch die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) ein. Im Anschluss zeigen wir wichtige Aspekte der behinderungsgerechten Arbeitsgestaltung mit Hilfsmitteln und technischen Arbeitshilfen auf.
Sie erfahren in diesem Online-Seminar:
- Rechtliche Regelungen des Hilfsmittelanspruchs
- Relevante Leistungsträger und Abläufe
- Praktische Beispiele der Hilfsmittelversorgung und behinderungsgerechten Arbeitsgestaltung
- Recherche-Tipps in REHADAT rund um das Thema Hilfsmittel
Zielgruppe (u. a.):
- Mitarbeitende der Leistungsträger (Rehabilitationsträger, Integrations-/Inklusionsamt)
- Beratungsstellen der beruflichen Teilhabe
- Betrieblich involvierte Personen (Interessenvertretung, Disability Management usw.)
- Ärztliche und therapeutische Fachkräfte
- Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen
Das Seminar ist für die Weiterbildung von „Certified Disability Management Professionals“ (CDMP) mit zwei Stunden von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) anerkannt.
Recht
Eine kirchliche Körperschaft des öffentlichen Rechts ist nicht zur Einladung schwerbehinderter Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch verpflichtet. § 165 Satz 3 SGB IX sieht die grundsätzliche Einladungspflicht nur für öffentliche Arbeitgeber vor. Eine kirchliche Körperschaft des öffentlichen Rechts ist kein öffentlicher Arbeitgeber.
Der schwerbehinderte Kläger hatte sich um eine Stelle in der Verwaltung eines Kirchenkreises der Evangelischen Kirche im Rheinland beworben. Trotz Offenlegung seiner Schwerbehinderung wurde er nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Seine Bewerbung blieb erfolglos. Nach Ansicht des Klägers wurde er im Auswahlverfahren wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert. Dies indiziere die unterbliebene Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Hierzu sei der Kirchenkreis nach § 165 Satz 3 SGB IX verpflichtet gewesen. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts gelte er gemäß § 154 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX als öffentlicher Arbeitgeber. Mit seiner Klage hat der Kläger deshalb die Zahlung einer Entschädigung verlangt. Der beklagte Kirchenkreis hat dies abgelehnt. Er sei kein öffentlicher Arbeitgeber. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.
Die hiergegen gerichtete Revision des Klägers hatte vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keine Benachteiligung wegen seiner Schwerbehinderung dargelegt. Eine solche kann nicht aufgrund der unterbliebenen Einladung zu einem Vorstellungsgespräch vermutet werden. Hierzu war der beklagte Kirchenkreis nicht verpflichtet. Die Einladungspflicht nach § 165 Satz 3 SGB IX besteht zwar gemäß § 154 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX ua. für Körperschaften des öffentlichen Rechts. Dies betrifft aber nach dem allgemeinen verwaltungsrechtlichen Begriffsverständnis nur Körperschaften, die staatliche Aufgaben wahrnehmen. Kirchliche Körperschaften des öffentlichen Rechts dienen demgegenüber primär der Erfüllung kirchlicher Aufgaben. Der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts soll dabei die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Religionsgesellschaft unterstützen. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber die Einladungspflicht auf kirchliche Körperschaften des öffentlichen Rechts erstrecken wollte. Insoweit stehen sie den ebenfalls staatsfernen privaten Arbeitgebern gleich.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25. Januar 2024 – 8 AZR 318/22 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Juli 2022 – 5 Sa 10/22 –
Hochschulen
Professor Peter Zentel ist Lehrstuhlinhaber für Pädagogik bei geistiger Behinderung und Beauftragter für die Belange Studierender mit Beeinträchtigung an der Ludwig-Maximilians-Universität München. In einem Interview spricht er über den Stellenwert von Barrierefreiheit und Inklusion in der Lehre.
Link zur Ludwig-Maximilians-Universität München: www.lmu.de
Anmeldung für den SBV InfoBrief
Wenn Sie gerne in den Verteiler für den SBV InfoBrief aufgenommen werden möchten,
schreiben Sie uns einfach eine kurze Nachricht:
sbv@bw-verdi.de
Betreff: Abo SBV InfoBrief