Prävention dient der Förderung der Gesundheit und der Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit. Zahlreiche Gesetze und Verordnungen dienen dem Prinzip der Prävention und damit natürlich auch der Gesundheit von schwerbehinderten Menschen. Die Interessenvertretungen haben hier einen großen Aufgabenbereich, in dem sie auf der Basis von Mitbestimmung und Mitwirkung tätig werden können und müssen.
Zeitgemäße Prävention folgt einem ganzheitlichen Ansatz, der sicherheitstechnische und arbeitsmedizinische Maßnahmen genauso einschließt wie den Gesundheitsschutz, so die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV).
Die Arbeitsfähigkeit erhalten, Belastungen und Krankheiten frühzeitig erkennen, der Entwicklung chronischer Erkrankungen entgegenwirken – das alles erfordert weitgehende Maßnahmen, um letztendlich krankheitsbedingte Kündigungen zu vermeiden.
Das Präventionsverfahren
Das Sozialgesetzbuch IX verpflichtet mit dem § 167 den Arbeitgeber beim Eintreten von personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten im Arbeits- oder sonstigen Beschäftigungsverhältnis, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können, möglichst frühzeitig die Schwerbehindertenvertretung und die in § 176 SGB IX genannten Vertretungen sowie das Integrationsamt einzuschalten. Er soll mit ihnen alle Möglichkeiten und alle zur Verfügung stehenden Hilfen zur Beratung und mögliche finanzielle Leistungen erörtern, mit denen die Schwierigkeiten beseitigt werden können und das Arbeits- oder sonstige Beschäftigungsverhältnis möglichst dauerhaft fortgesetzt werden kann.
Das Präventionsverfahren stellt einen Nachteilsausgleich dar, der die Chancen schwerbehinderter Menschen auf ein dauerhaftes Arbeitsverhältnis verbessern soll und ist damit eine positive Maßnahme nach § 5 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG).
Im Gegensatz zur Einleitung eines Verfahrens zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement nach § 167 Abs. 2 SGB IX ist im Klärungsverfahren im Rahmen der Prävention nach § 167 Abs. 1 SGB IX keine Zustimmung der betroffenen Person notwendig. Dies ist auch wichtig, gerade bei betriebsbedingter Gefährdung des Arbeitsplatzes, wenn nämlich ein Personalabbau vorgesehen ist. Dann muss der Arbeitgeber das Präventionsverfahren schon früh genug beginnen, um ggf. andere Beschäftigungsmöglichkeiten zu auszuloten oder auch Qualifikations- oder Umschulungsmaßnahmen einzuleiten. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass dieser Prozess längere Zeit in Anspruch nimmt, als bei nichtbehinderten Beschäftigten.
Wenn der Arbeitgeber seiner Pflicht ein Präventionsverfahren einzuleiten nicht nachkommt, ist es an den Interessenvertretungen, ihn zum Handeln aufzufordern und das Integrationsamt einzuschalten (§ 178 Abs. 1 SGB IX).
Die Schwerbehindertenvertretung hat im Falle eines Präventionsverfahrens das Erörterungsrecht nach § 167 Abs.1 SGB IX und das Anhörungsrecht nach § 178 Abs. 2 SGB IX. In der Praxis heißt das, dass der Arbeitgeber der SBV rechtzeitig, also unverzüglich und umfassend nach Erkennen der Schwierigkeiten die Informationen über bestehende Probleme geben muss. Auch evtl. schon geplante Maßnahmen sind der SBV im Detail mitzuteilen. Ein Kündigungsverfahren darf noch nicht eingeleitet sein. Nur dann kann die Schwerbehindertenvertretung den Fall beurteilen und ggf. eigene Vorstellungen in das Verfahren einbringen. Das schließt Gespräche mit der betroffenen Person ein.
Dabei sollen nach dem Gesetzeslaut alle Möglichkeiten der Unterstützung und Hilfen erörtert werden. Ist solch ein Verfahren erst eingeleitet, kann dies u.U. einige Zeit in Anspruch nehmen. Aber es geht möglicherweise um den Arbeitsplatz eines schwerbehinderten Menschen und dabei muss Sorgfalt vor Schnelligkeit Priorität haben. Der Arbeitgeber muss allen zur Verfügung stehenden internen und externen Sachverstand nutzen.
Letztlich muss der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung anhören und deren Argumente und Lösungsvorschläge ernsthaft prüfen. Jedoch sind deren Vorschläge nicht bindend und der Arbeitgeber entscheidet.
Wenn der Arbeitgeber einen beschäftigungsgefährdenden Sachverhalt erkannt hat, aber die SBV nicht einschaltet und erwägt er arbeitsrechtliche Schritte, so kann die SBV die Aussetzung der Maßnahme nach § 178 Abs. 2 Satz 2 SGB IX verlangen.
Unterlässt der Arbeitgeber das Verfahren oder schöpft er nicht alle ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten aus, wird er in einem eventuellen Kündigungsschutzverfahren dass die betroffene Person vor dem Arbeitsgericht anstrengt, Schwierigkeiten bei der Darlegung der Kündigungsgründe haben.
Das Betriebliche Eingliederungsmanagement
Das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) nach § 167 Abs.2 SGB IX hat der Arbeitgeber durchzuführen, wenn Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind. Hierbei klärt der Arbeitgeber mit der zuständigen Interessenvertretung im Sinne des § 176 SGB IX, bei schwerbehinderten Menschen außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung, mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann.
Hierbei ist der Arbeitgeber zunächst in der Art und Weise der Durchführung eines BEM frei. Es gibt keine Vorschrift, wie der Ablauf detailliert auszusehen hat. Insofern ist es umso wichtiger, dass die Interessenvertretungen gemeinsam mit der SBV Betriebs- und Dienstvereinbarungen zum BEM verhandeln und abschließen.
Krankenrückkehrgespräche, Fehlzeitengespräche oder sogenannte Fürsorgegespräche stellen kein BEM dar! Im Gegenteil kann man davon ausgehen, dass solche Gespräche in vielen Fällen nur der Disziplinierung von Beschäftigten dienen sollen. Ein BEM-Verfahren hat immer einige Mindestanforderungen zu erfüllen, an die sich der Arbeitgeber auch halten muss, wenn es keine Betriebs- oder Dienstvereinbarung gibt.
Natürlich muss nicht in jedem Falle nach sechs Wochen Arbeitsunfähigkeit ein BEM folgen. Gab es z.B. einen Beinbruch, dazu einen saisonalen, grippalen Infekt, sind sechs Wochen im Jahr schnell erreicht, erfordern aber meist keine weiteren Maßnahmen. Genauer hinschauen muss man z.B., wenn sich viele Kurzerkrankungen summieren. Hier können durchaus ernstere Ursachen vorhanden sein, denen man durch ein strukturiertes BEM-Verfahren abhelfen kann.
Zunächst ist die betroffene Person oder ihr gesetzlicher Vertreter auf die Ziele des Betrieblichen Eingliederungsmanagements sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen. Mit der Neuregelung durch das Teilhabestärkungsgesetz im Jahr 2021 können Beschäftigte jederzeit eine Person ihres Vertrauens hinzuziehen. Eine Mitwirkungspflicht der betroffenen Person besteht nicht – jedoch soll sie, wenn sie der Durchführung eines BEM zugestimmt hat, aktiv am dialogischen Prozess teilnehmen. Hat die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer nicht oder noch nicht zugestimmt, darf der Arbeitgeber nicht tätig werden. Gibt es eine Ablehnung des BEM-Verfahrens, kann sich dies jedoch u.U. in einem Kündigungsschutzverfahren negativ auswirken.
Die Formulierung im § 167 Abs. 2 SGB IX weist daraufhin, dass der Ablauf des BEM dokumentiert werden muss. Das hilft in einem länger dauernden Verfahren, den bisherigen Ablauf und durchgeführte Maßnahmen nachzuvollziehen.
Sind in einem Erstgespräch die grundsätzlichen Fragen geklärt und die Zustimmung der betroffenen Person liegt vor, kann der Ablauf besprochen und auch entschieden werden, ob Betriebsarzt oder auch andere externe Stellen hinzugezogen werden sollen. Erst nach dieser grundsätzlichen Klärung darf der Arbeitgeber tätig werden.
Ist ein schwerbehinderter Mensch betroffen, wird die SBV hinzugezogen. In allen anderen Fällen sollte die Schwerbehindertenvertretung mitarbeiten, dies allerdings nicht in dieser SBV-Funktion, sondern mit der Expertise in Fragen der behinderungsgerechten Beschäftigung, denn es ist davon auszugehen, dass Menschen nach langen Krankheitsverläufen von Behinderung bedroht sind.
Ein Instrument der Analyse ist die Gefährdungsbeurteilung nach § 6 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG), konkretisiert im § 3 Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) in Zusammenhang mit der Technischen Regel ASR V3. Sie dient zur Beurteilung der Arbeitsbedingungen.
Ein strukturierte und für alle Beteiligten verbindliche Vorgehensweise hilft, die Beschäftigung zu sichern. Ein Maßnahmenplan sollte sehr detailliert besprochen und vereinbart werden. Er kann Veränderungen des Arbeitsplatzes, Änderungen in der Arbeitsorganisation, Qualifizierungsmaßnahmen und Angebote für die individuelle Gesundheit beinhalten. Alles ist denkbar, auch die Vorschläge und Ideen der Betroffenen müssen beachtet werden.
Eine zeitliche Begrenzung für das BEM gibt es nicht. Treten neue Sachverhalte ans Licht, ist auch neu darüber zu beraten. Es spricht auch nichts dagegen, nach gewisser Zeit ein neues BEM einzuleiten.
Sind die vereinbarten Maßnahmen abgeschlossen, wird in gemeinsamer Beratung eine Bewertung vorgenommen. Waren die Maßnahmen passgenau auf die betroffene Person zugeschnitten? Haben die Maßnahmen den gewünschten Erfolg gebracht? Muss ggf. nachjustiert werden? Kann das BEM an diesem Punkt beendet werden oder sind weitere Schritte notwendig?
Wenn es keine betrieblichen Gestaltungsregeln über das BEM (am Besten in Form einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung gibt) müssen die Verfahrensfragen gemeinsam von den Beteiligten in jedem Einzelfall vereinbart werden. Allein dies zeigt, dass es auch im Interesse des Arbeitgebers sein sollte, gemeinsam mit den Interessenvertretungen Verfahrensregeln auszuarbeiten und zu vereinbaren.
Solch eine Betriebs- oder Dienstvereinbarung beinhaltet vom 1. Musteranschreiben über die Zusammensetzung des BEM-Teams, die Datenschutzerklärung bis zur Art der Protokollführung und die Möglichkeiten der betrieblichen und außerbetrieblichen Umsetzung von Präventionsmaßnahmen alle Detailschritte eines BEM. Eine Vereinbarung verbessert auch die Akzeptanz in Betrieben und Dienststellen, da häufig die Ansicht vertreten wird, dass ein BEM die Möglichkeiten des Arbeitgebers eine Kündigung durchzusetzen, verbessert. Dem ist zu widersprechen, denn gerade die Transparenz der Verfahrensstruktur und die intensive Überwachung durch die Interessenvertretung stärken die Position der betroffenen Kolleginnen und Kollegen. Ein BEM-Verfahren stellt einen geschützten Raum zur Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit dar. Gut geführte BEM-Verfahren können in vielen Fällen eine dauerhafte Beschäftigungsmöglichkeit sichern.
Die vorstehenden Erläuterungen machen deutlich, dass ein geordnetes BEM-Verfahren Fachwissen erfordert. Die beste Gelegenheit, dieses Fachwissen zu erlangen oder zu erweitern bieten gewerkschaftliche Seminare zum Thema. Es können Seminare sein, die eine Einführung in die Bestandteile und Abläufe des Betrieblichen Eingliederungsmanagements bieten oder aber Seminare für Interessenvertretungen, die vor dem Abschluss einer Vereinbarung zum BEM stehen und ihre Entwürfe überprüfen wollen. Genauso wichtig ist eine stete Bewertung neuer arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse durch die Interessenvertretungen und ob wegen derer die vereinbarten Regelungen neu bewertet und ggf. nachgebessert werden müssen.
Die Hans-Böckler-Stiftung hat in der Reihe „Mitbestimmungspraxis“ 2018 einen Handlungsleitfaden zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement publiziert, der unter www.boeckler.de als PDF-Download zur Verfügung steht.
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