Die SBV und die Gefährdungsbeurteilung

    Gefahr erkannt – Gefahr gebannt!

Die Arbeitswelt ändert sich seit vielen Jahren radikal und die technischen Veränderungen kommen in immer schnelleren Zyklen. Die Altersstruktur der Belegschaften verschiebt sich durch die demografische Entwicklung nach oben, aber auch durch Veränderungen im Rentenrecht.

Die Digitalisierung schafft neue Arbeitsplätze, bisherige werden obsolet. Nicht Jede oder Jeder hält mit den technologischen Entwicklungen Schritt. Maschinen produzieren immer schneller. Die Arbeitsverdichtung macht vielen Menschen große Probleme. Effizienz und ökonomischer Erfolg stehen in unserem Wirtschaftssystem mit erheblichen Auswirkungen auf die Beschäftigten im Vordergrund. Und dies nicht nur in produzierenden Wirtschaftsbereichen, sondern auch sehr stark in Bereichen, in denen Dienstleistungen erbracht werden. Ein Gesundheitssystem, dass - auch durch fortschreitende Privatisierung - immer stärker auf ökonomische Erfolge, statt auf Qualität der Pflege und Zuwendung ausgerichtet worden ist, steht hierfür beispielhaft.

Die seit den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts von den Gewerkschaften geforderte Humanisierung der Arbeit hat sich zumindest in bestimmten Bereichen ins Gegenteil verkehrt. Nichtsdestotrotz ist dies weiterhin eine Kernaufgabe der Gewerkschaften, denn Veränderungen der Arbeitswelt sind nach wie vor Machtfragen. Durch die Möglichkeiten der Mitbestimmung können Veränderungen herbeigeführt werden.

Wir wissen, wer nicht im Sinne dieses Systems funktioniert gerät schnell unter Druck, bis hin zum Ausscheiden aus dem Arbeitsleben. Die Interessenvertretungen müssen sich immer wieder mit diesen Menschen, oft Beschäftigte mit Behinderung, befassen. Nicht wenige Betroffene geraten jedoch tragischerweise dabei ganz aus dem Blick, bei Langzeiterkrankung und Einstellung des Krankengeldes nach 78 Wochen sind sie häufig nicht mehr zu erreichen und damit aus dem Blickfeld. Eine rechtzeitige und sorgfältige Gefährdungsbeurteilung kann hier vorbeugend wirken.

Neben den nach wie vor hohen Belastungen durch körperliche Arbeit sind die Folgen der Veränderungen in der Arbeitswelt an den in den letzten Jahren dramatisch gestiegenen Krankheitstagen wegen psychischer Störungen abzulesen. 2006 waren es durchschnittlich noch ca. 28 Tage pro Erkrankung. 2020 ist dieser Wert auf 39,5 Tage gestiegen. Psychische Erkrankungen haben sich auch nach Fallzahlen zur zweitwichtigsten Ursache für Arbeitsunfähigkeit entwickelt.

Bei aller Kritik am Bestehenden und den notwendigen grundsätzlichen Bemühungen auf der politischen Ebene, gilt es das vorhandene Instrumentarium des Arbeitsschutzes und der Prävention auch anzuwenden. Zur betrieblichen Umsetzung der Gesetze und Verordnungen ist der Arbeitgeber verpflichtet! Die Überwachung und ggf. die Durchsetzung ist Aufgabe der Interessenvertretungen, also auch der SBV! Mit gewerkschaftlichem Hintergrund gelingt dieses leichter und besser.

Prävention statt Nachsorge

Werden Menschen mit Behinderung beschäftigt, ist bei der Gefährdungsbeurteilung eine detailliertere Betrachtung nötig, weil sichergestellt werden muss, dass eine mit der Tätigkeit verbundene Gefährdung kein höheres Gefährdungspotential für eine Gruppe von Beschäftigten mit Behinderung als für andere Beschäftigte birgt.

Die Gefährdungsbeurteilung ist im Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) geregelt. Die Technische Regel ASR V3 konkretisiert den § 3 der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV).

Der § 5 ArbSchG gibt klare Vorgaben, welche möglichen Gefährdungen definiert werden müssen. Es sind

  1. die Gestaltung und die Einrichtung der Arbeitsstätte und des Arbeitsplatzes,
  2. physikalische, chemische und biologische Einwirkungen,
  3. die Gestaltung, die Auswahl und der Einsatz von Arbeitsmitteln, insbesondere von Arbeitsstoffen, Maschinen, Geräten und Anlagen sowie den Umgang damit,
  4. die Gestaltung von Arbeits- und Fertigungsverfahren, Arbeitsabläufen und Arbeitszeit und deren Zusammenwirken,
  5. unzureichende Qualifikation und Unterweisung der Beschäftigten,
  6. psychische Belastungen bei der Arbeit.

Mittlerweile gibt es einige sehr gute Systeme, die in der Art eines Baukastens für jeden Betrieb oder jede Dienststelle die geeigneten Werkzeuge bereithalten. Nicht jeder Betrieb muss daher das Rad neu erfinden.

Wird eine Gefährdung entdeckt, ist abzuschätzen, ob ein potenzielles Risiko für besonders schutzbedürftige Beschäftigte, wie bspw. Schwangere, stillende Mütter, Jugendliche und auch Schwerbehinderte besteht. Ist dies der Fall, ist immer eine individuelle Gefährdungsbeurteilung durchzuführen.

Die Gefährdungsbeurteilung ist immer dann zu überprüfen, wenn sich die betrieblichen Gegebenheiten verändert haben, z.B. auch dann, wenn der Arbeitgeber von der Behinderung einer Person Kenntnis erhält. Die Gefährdungsbeurteilung ist also kein statisches Gebilde, sondern der Dynamik möglicher Veränderungen anzupassen.

Grundsätzlich kann der Arbeitgeber die Beurteilung je nach Art der Tätigkeiten vorzunehmen. Bei gleichartigen Arbeitsbedingungen ist die Beurteilung eines Arbeitsplatzes oder einer Tätigkeit ausreichend. Es kann sich herausstellen, dass durch die spezielle Art der Behinderung an ansonsten gleichartigen Arbeitsplätzen für den Menschen mit Behinderung ein höheres oder andersartiges Gefährdungspotenzial vorhanden ist, als für den Menschen ohne Behinderung. Insofern ist bei den Arbeitsplätzen von Menschen mit Behinderung eine spezielle Gefährdungsbeurteilung durchzuführen.

Bei Bedarf sind Gestaltungslösungen und/oder Maßnahmen gefragt, um den jeweiligen Arbeitsplatz inklusiv zu gestalten. Maßnahmen können die Umgestaltung des Arbeitsplatzes, bzw. des Arbeitsumfeldes oder Veränderungen der Arbeitsorganisation sein, ebenso wie die Arbeitszeitgestaltung oder die Ausstattung mit technischen Hilfsmitteln.

Hierbei sollte das Integrationsamt beteiligt werden, da dieses auch die möglichen Kosten anteilig übernehmen wird. Den Anspruch auf behinderungsgerechte Ausstattung der Arbeitsplätze, der Arbeitsbedingungen und des Arbeitsumfeldes muss der Arbeitgeber umsetzen, soweit es ihm nicht nachweislich unzumutbar oder mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich ist (§ 164 Abs. 4 SGB IX).

Ich werd noch verrückt – Psychische Belastung am Arbeitsplatz

Arbeit ist das beste Mittel gegen Verzweiflung, so der Schriftsteller Arthur Conan Doyle vor 120 Jahren. Dagegen bringt die Arbeit heutzutage viele Menschen zur Verzweiflung. Angesichts der Veränderungen – häufig Verschlechterungen – der Arbeitsbedingungen in der Arbeitswelt kommt der Beurteilung der psychischen Belastungen eine besonders wichtige Bedeutung zu. Aktuelle Fehlzeitenstatistiken zeigen, dass die Belastungen, die einen Einfluss auf die psychische Gesundheit der Menschen haben, zunehmend als Ursache für Arbeitsunfähigkeit stehen.

Die Beurteilung der psychischen Belastungsfaktoren verlangt besondere Aufmerksamkeit, weil hier ggf. sehr persönliche Angaben erfragt werden. Insofern ist bei der Vorbereitung dieses Teils der Gefährdungsbeurteilung besonderes Augenmerk auf eine qualitätsgesicherte Ausführung zu legen. Diese wird häufig nicht intern vorhanden sein, so dass man sich externe Expertise sichern muss. Auf eine erste anonyme Befragung erfolgt in der Regel eine Vor-Ort-Betrachtung. Interviews und Gesprächsrunden im geschützten Rahmen werden die erhobenen Daten erhärten und zu angemessenen Maßnahmen führen.

Diese sehr verkürzte Darstellung sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Beurteilung der psychischen Belastung sehr komplex und individuell zu handhaben ist.

Häufig gibt es gerade über diesen Teil der Gefährdungsbeurteilung Konflikte mit den Arbeitgebern, weil die gewonnenen Erkenntnisse auch schon mal grundlegende Probleme der Arbeitsorganisation oder der Führungsqualitäten offenbaren. Mittlerweile ist jedoch oftmals höchstrichterlich festgestellt, dass Betriebs- und Personalrat bei der Planung und Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung Mitbestimmungsrechte haben. Die Schwerbehindertenvertretungen werden in die Gestaltungs- und Umsetzungsprozesse ihre besondere Expertise einbringen können. Also auch hier gilt, dass nur eine reibungslose Zusammenarbeit aller Interessenvertretungen zu guten Ergebnissen im Sinne der Kolleginnen und Kollegen führt. Den Interessenvertretungen obliegt es, hartnäckig und zielstrebig zu sein, denn jede signifikante psychische Überbelastung hinterlässt Narben in der Seele – und führt vielleicht zu Folgeerkrankungen, die wiederum ein betriebliches Handeln erfordern.

Einige Tipps

Die Gefährdungsbeurteilung, Kernstück eines Arbeits- und Gesundheitskonzeptes, ver.di, www.verdi.de

Gute Arbeit, Die ver.di Initiative, Online-Hilfe für die Praxis, www.verdi-gefaehrdungsbeurteilung.de

Die inkludierte Gefährdungsbeurteilung am Beispiel von Beschäftigten mit Hörschädigung, Landschaftsverband Rheinland (LVR), 2017, PDF-Download

Portal „Gefährdungsbeurteilung“ der DGUV, systematisches und erfolgreiches Sicherheits- und Gesundheitsmanagement, www.baua.de

REHADAT „Gute Praxis“, Ablauf der Gefährdungsbeurteilung in 9 Schritten, www.rehadat-gutepraxis.de

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